Der Auf­stand der Jugend

Szene aus einem Video von SEALDs.
Sze­ne aus einem Video von SEALDs. Screen­shot: youtube/​SEALDs FKA SASPL

Es gab eine Zeit in Japan, in der die Stu­den­ten für ihre poli­ti­schen Idea­le kämpf­ten. Sie demons­trier­ten gegen den Sicher­heits­ver­trag mit den USA, gegen Pre­mier­mi­nis­ter Nobusuke Kishi, gegen den Viet­nam­krieg oder gegen die Ent­eig­nung der Bau­ern, wie beim Bau des Flug­ha­fens Nari­ta. Stu­den­ten­un­ru­hen und lan­des­wei­te Pro­test­ak­tio­nen gehör­ten wie selbst­ver­ständ­lich zu den 60ern.

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Dann kam das japa­ni­sche Wirt­schafts­wun­der so rich­tig in die Gän­ge und es folg­te eine jahr­zehn­te­lan­ge Pha­se der Ent­po­li­ti­sie­rung der Jugend. Mit Wohl­stand und Fern­seh­sen­dun­gen über Belang­lo­sig­kei­ten wur­den Gene­ra­tio­nen zufrie­den­ge­stellt. Die Poli­tik wur­de den Poli­ti­kern über­las­sen und damit der ewi­gen Regie­rungs­par­tei der Libe­ral­de­mo­kra­ten. Man kön­ne poli­tisch sowie­so nichts ändern, ist bis heu­te ein gän­gi­ger Spruch unter den Japanern.

Die ers­te Protestbewegung

Dann kamen am 11. März 2011 das Erd­be­ben, der Tsu­na­mi und die AKW-Kata­stro­phe. Es form­ten sich neue, loka­le Pro­test­be­we­gun­gen, die sich mehr­heit­lich aus der Gene­ra­ti­on der 60er-Jah­re und jun­gen Stu­den­ten zusam­men­setz­te. Sie demons­trier­ten gegen die Atom­po­li­tik fried­lich, bunt, aber ent­schlos­sen (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Auf dem Höhe­punkt demons­trier­ten über 100’000 Men­schen im Juli 2012 im Yoyo­gi-Park in Tokio gegen die Atom­kraft (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Japan schal­te­te all­mäh­lich alle Reak­to­ren ab, um sie auf ihre Sicher­heit zu prü­fen. Doch die Bewe­gung ver­pass­te es, sich poli­tisch zu orga­ni­sie­ren und zu eta­blie­ren – und so ver­puff­te ihre Wirkung.

Die pola­ri­sie­ren­de Politik

Mit Amts­an­tritt von Pre­mier­mi­nis­ter Shin­zo Abe Ende 2012 kam die Rück­kehr zur Atom­po­li­tik (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Auch wenn zwi­schen­zeit­lich nur 2 von 43 Reak­to­ren wie­der am Netz sind, ist die Rich­tung klar. In den nächs­ten Wochen könn­ten vier wei­te­re Reak­to­ren hoch­ge­fah­ren wer­den. Mit recht­li­chen Kla­gen und loka­len Demons­tra­tio­nen kämpft man wei­ter­hin dage­gen an, doch die Atom­lob­by ist wie­der am län­ge­ren Hebel.

Shin­zo Abe hat sich der­weil längst neu­en poli­ti­schen Minen­fel­dern gewid­met und damit die Bevöl­ke­rung gespal­ten wie sel­ten ein Regie­rungs­chef zuvor. Wäh­rend sei­ne Befür­wor­ter in ihm den akti­ven Refor­mer sehen, der Japan wie­der aus­sen­po­li­ti­sche Stär­ke ver­leiht, sehen sei­ne Geg­ner in ihm den Anti-Demo­kra­ten, der das pazi­fis­ti­sche Erbe der Nach­kriegs­zeit in Gefahr bringt.

2013 brach­te Abe ein neu­es «Gesetz zum Schutz von Staats­ge­heim­nis­sen» durch, das die Medi­en und die Oppo­si­ti­on als gefähr­li­chen Ein­griff in die Mei­nungs- und Pres­se­frei­heit betrach­ten (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Schliess­lich folg­te die umstrit­te­ne Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der Frie­dens­ver­fas­sung und die Ver­ab­schie­dung der Sicher­heits­ge­set­ze, die Japan die Ent­sen­dung von Trup­pen nach Über­see zur Unter­stüt­zung von Alli­ier­ten in Kampf­ein­sät­zen erlau­ben. Die Kri­ti­ker war­fen ihm Ver­fas­sungs­bruch vor (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Die Geburts­stun­de von SEALDs

Abes umstrit­te­nes Vor­ge­hen wur­de zur Geburts­stun­de einer neu­en Stu­den­ten­be­we­gung. SEALDs nennt sie sich, was für Stu­dents Emer­gen­cy Action for Libe­ral Demo­cra­cy steht, die sich für den Schutz der Frie­dens­ver­fas­sung, der Frei­heit und Demo­kra­tie ein­setzt, wie sie auf ihrer Web­site erläutert.

Medi­al für Auf­merk­sam­keit sorg­te SEALDs, als sie im August 2015 eine Demons­tra­ti­on vor dem Par­la­ment zusam­men mit ande­ren Bür­ger­rechts­grup­pen orga­ni­sie­ren half. 120’000 Men­schen pro­tes­tier­ten gegen Abes Sicher­heits­ge­set­ze. Es war eine der gröss­ten Demons­tra­tio­nen der Nach­kriegs­ge­schich­te (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Zum Aus­hän­ge­schild von SEALDs ist der 23-jäh­ri­ge Aki Oku­da gewor­den, Stu­dent an der Mei­ji-Gaku­in-Uni­ver­si­tät. Zusam­men mit ande­ren 10 Stu­di­en­kol­le­gen grün­de­te er die Grup­pie­rung, die sich aus dem Pro­test gegen das umstrit­te­ne «Gesetz zum Schutz von Staats­ge­heim­nis­sen» her­aus ent­wi­ckel­te. Die Debat­te um die Sicher­heits­ge­set­ze kata­pul­tier­te SEALDs schliess­lich in die natio­na­len Medi­en. Die Oppo­si­ti­on lud Oku­da sogar ein, vor dem Komi­tee des Ober­hau­ses zu spre­chen. Ver­hin­dern konn­ten die Bewe­gung die Ver­ab­schie­dung der Geset­ze jedoch nicht.

Aus den Feh­lern lernen

SEALDS hat aus den Feh­lern der Anti-AKW-Bewe­gung gelernt. Sie ist jung, orga­ni­siert und hat es ver­stan­den, vie­le bis­lang apo­li­ti­sche Stu­den­ten wirk­sam für sich zu gewin­nen. Mit pro­fes­sio­nell pro­du­zier­ten Vide­os (sie­he Film unten), die intel­li­gen­te Ver­wen­dung der sozia­len Medi­en, musi­ka­li­schen Ver­an­stal­tun­gen an beleb­ten Orten wie vor dem Bahn­hof Shi­bu­ya und ein­gän­gi­gen Bot­schaf­ten haben sie die Poli­tik für vie­le Jugend­li­che inter­es­sant gemacht.

Das hat sogar so gut funk­tio­niert, dass SEALDs zu einem der japa­ni­schen Trend­wör­ter des Jah­res 2015 gewählt wur­de (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Oku­da ist schon längst zum Feind­bild der Rech­ten gewor­den. Erst neu­lich wur­de ein 19-jäh­ri­ger Ver­däch­ti­ger wegen Mord­dro­hung gegen Oku­da und sei­ne Fami­lie ver­haf­tet, wie die Tokyo Shim­bun berichtet.

SEALDs schwört – im Gegen­satz zu der Bewe­gung der 60er – jeg­li­cher Gewalt ab und mischt – im Gegen­satz zur Anti-AKW-Bewe­gung – auch auf poli­ti­scher Ebe­ne aktiv mit; oder ver­sucht es zumin­dest. Zusam­men mit ande­ren Bür­ger­rechts­grup­pen, Aka­de­mi­kern und ver­schie­de­nen Oppo­si­ti­ons­par­tei­en wol­len sie für die kom­men­den Ober­aus­wah­len im Som­mer eine Alli­anz bil­den, um gezielt Kan­di­da­ten unter­stüt­zen, die sich für die Abschaf­fung der ein­ge­führ­ten Sicher­heits­ge­set­ze und den Schutz der jet­zi­gen Ver­fas­sung ein­set­zen, wie die Nach­rich­ten­agen­tur Jiji berich­tet. Ziel ist es, dass sich die Grup­pie­run­gen auf einen ein­zi­gen Kan­di­da­ten pro Wahl­kreis eini­gen, um die Wahl­chan­cen gegen die Ver­tre­ter der Regie­rungs­par­tei LDP zu erhöhen.

Und so wer­den die Ober­aus­wah­len zum gros­sen Test. Dann wird sich zei­gen, ob SEALDs auch wirk­lich das Zeugs dazu hat, mehr als nur eine poli­ti­sche Trend­be­we­gung zu sein.

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