Rohes Hühnchen essen?
Noch vor zwanzig Jahren konnten die Japaner mit rohem Fisch ihre westlichen Gäste erschrecken. Diese Zeiten sind inzwischen längst vorbei. Es gibt aber weiterhin kulinarische Spezialitäten aus Japan, die ausländische Besucher stutzig machen. Dazu gehört das rohe Hühnchen, das entweder am Spiesschen oder in dünnen Scheiben serviert wird. Gewöhnlich wird das rohe Huhn aussen leicht angebraten und innen roh belassen.
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Von Torisashi spricht man in Japan. Die Speise ist Teil der traditionellen lokalen Küche der Präfekturen Kagoshima, Miyazaki und Oita auf der Südinsel, wo sie sogar in vereinzelten Supermärkten erhältlich ist. Die Hühner für dieses Gericht stammen aus regionalen Farmen. Für die hygienische Zubereitung sind stets spezialisierte Köche verantwortlich.
Die Selbstverantwortung und das Vertrauen
Torisashi ist inzwischen im ganzen Land beliebt. Immer mehr Restaurants bieten das Gericht ganz selbstverständlich an. Es ist auch nicht so, dass man sich der Gefahren in Japan nicht bewusst ist. Offiziell rät die Regierung gar vom rohen Verzehr von Hühnerfleisch ab. Gleichzeitig gibt es kein Verbot, ungekochtes Hühnerfleisch zu servieren. Man setzt in diesem Fall offenbar auf die Selbstverantwortung der Kunden.
In einem Land, das so viele Rohgerichte anbietet, vertrauen die Kunden ohne zu zögern auf die Kompetenz und Zuverlässigkeit der Köche sowie der Restaurantbesitzer. Im Normalfall geht nichts schief. Auch ich esse in Japan immer wieder rohes Hühnchen und wurde dabei kein einziges Mal krank. Grundsätzlich esse ich dieses Gericht aber nur in Restaurants, die sich ausdrücklich darauf spezialisiert haben und Torisashi schon seit Jahren servieren.
Die Massenlebensmittelvergiftung
Es ist jedoch zu betonen, dass bei dieser Speise durchaus ein nicht zu unterschätzendes Restrisiko besteht. So kam es Anfang Mai während einer Messe für Fleischgerichte in Tokio – die Nikufesu Tokyo 2016 – zu einer Lebensmittelvergiftung durch Torisashi, wie NHK News berichtet.
Gleich mehrere Personen, die an der Messe davon gegessen hatten, beklagten in den darauffolgenden Tagen Durchfall und Bauchschmerzen. Das Gesundheitsamt stellte eine Massenlebensmittelvergiftung fest. Alle Patienten wurden durch Campylobacter-Bakterien vergiftet. Insgesamt wurden 49 Personen zwischen 8 und 41 Jahren krank. 3 Personen mussten sogar hospitalisiert werden. Es sind jedoch alle auf dem Weg der Besserung. Das Gesundheitsamt hat angekündigt, dass man künftig noch deutlicher auf die Gefahren aufmerksam machen werde.
Campylobacter als Ursache
Noch vor den Salmonellen zählen Campylobacter-Bakterien heute zu den häufigsten Ursachen für eine Erkrankung nach dem Verzehr von rohem Hühnerfleisch. Typische Symptome bei einer solchen Lebensmittelvergiftung sind Durchfall, Bauchweh, Fieber, Erbrechen oder Kopfschmerzen. Die Krankheit tritt frühestens zwei Tage nach dem Verzehr ein und verheilt gewöhnlich nach ein paar Ruhetagen von selbst. Bei Kindern und älteren Menschen, die weniger Widerstandskräfte besitzen, besteht jedoch die Gefahr, dass sich daraus eine schwerere Krankheit entwickelt.
Die Zahl der Campylobacter-Infektionen durch den Verzehr von Torisashi in Japan kann nur geschätzt werden. Das Gesundheitsministerium gibt in seinen offiziellen Statistiken zu den jährlichen Lebensmittelvergiftungen lediglich allgemeine Zahlen an. Die Sankei Shimbun schätzte in einem Artikel von 2011, dass es jährlich zu rund 500 Campylobacter-Infektionen nach dem Konsum von rohem Hühnerfleisch komme.
Hohe Dunkelziffer
Die Nikkei Shimbun geht derweil von viel höheren Zahlen aus. Das Problem hierbei sei, dass die allermeisten Erkrankten gar nie zum Arzt gingen, da sich die typischen Beschwerden wie Durchfall oder Bauchweh gewöhnlich erst einige Tage nach dem Verzehr zeigen und nach ein paar Ruhetagen wieder verschwinden würden. Selbst bei einer ärztlichen Untersuchung gehe man der eigentlichen Ursache nicht immer auf den Grund.
Die Zeitung schätzt aufgrund einer Studie des Gesundheitsministeriums, dass es jährlich zu 3 bis 5 Millionen Campylobacter-Infektionen kommt. Das sind weitaus mehr als die jährlichen 2000 Erkrankungen, die die offizielle Statistik angibt. Und weil typische Risikogerichte wie rohe Rinds- oder Schweinsleber inzwischen offiziell verboten sind (Asienspiegel berichtete), vermutet die Nikkei Shimbun, dass der Verzehr von rohem oder nicht genügend gebratenem Hühnerfleisch heute wohl für einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Campylobacter-Infektionen verantwortlich ist.
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