Der wertlose Regenschirm

Eigentlich gelten die Japaner als überaus zuverlässig und korrekt. Gestohlen wird kaum etwas. Verlorene Wertgegenstände finden überdurchschnittlich oft den Weg zurück zum Besitzer. Doch bei einem Gegenstand gibt es für die Japaner keine Sorgfaltspflicht: Es ist der Plastikregenschirm, der an regnerischen Tagen das Stadtbild in Japan dominiert.
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Diese sind für rund 500 Yen in jedem Minimarkt erhältlich. Berühmt wurde diese Art von Schirm im Westen durch Sofia Coppolas Film Lost in Translation. Scarlett Johansson schlendert darin mit diesem klassischen Billig-Plastikschirm in der Hand durchs verregnete Tokio. Doch so kultig sie sein mögen, für die Japaner sind diese Regenschirme Wegwerfprodukte auf dem Niveau von Plastiktüten.
Kein anderes Produkt wird so oft in Zügen und Bahnhöfen bedenkenlos liegen gelassen. Um gegen diese Wegwerfmentalität vorzugehen, bieten immer mehr Läden, Bahnhöfe aber auch Getränkeautomaten-Betreiber ein kostenloses Schirmverleih-System an (Asienspiegel berichtete). Bei Regen darf sich jeder bedienen. Zurückgeben kann man die Regenschirme zu einem beliebigen Zeitpunkt.
Leihschirme in Hakodate
Das System sollte eigentlich nur Vorteile haben. Der Wegwerfmentalität wird ein Ende gesetzt und gleichzeitig bietet die Schirme den Vertreibern eine ideale Werbefläche. Auch in der Stadt Hakodate auf Hokkaido hatte eine PR-Organisation, die sich für die Förderung der neuen Shinkansen-Verbindung (Asienspiegel berichtete) auf der Nordinsel einsetzt, denselben Gedanken.
Sie sponserte der Stadt einen kostenlosen Regenschirmverleih. Es sollte ein gastfreundschaftlicher Dienst an die Touristen sein. Ende März wurden 1500 Regenschirme mit dem Logo von Hakodate zur Verfügung gestellt und an sechs Orten in der Stadt platziert. Kommt es zu einem plötzlichen Regenschauer, darf sich jeder bedienen und den Regenschirm zu einem beliebigen Zeitpunkt an irgendeiner Station zurückgeben.
Der Grossteil ist verschwunden
Nach nur drei Monaten ist jedoch Ernüchterung eingetreten, wie die Hokkaido Shimbun berichtet. Von den 1500 Stück ist der Grossteil verloren gegangen oder nie wieder zurückgegeben worden. Im Mai zählte man an den sechs Stationen nur 100 Stück. Die Stadt kaufte in der Folge weitere 500 Regenschirme. Inzwischen ist der Bestand auf 400 gefallen.
Zuerst vermutete der Betreiber, dass die Touristen die Schirme womöglich einfach in den Hotels liegen gelassen hätten. Dort wurden jedoch lediglich 13 Stück ausfindig gemacht. Diese Erkenntnis führt nun zum Schluss, dass ein Grossteil der Bewohner von Hakodate die Leihschirme benutzen und sie letztendlich wohl einfach zuhause oder an einem anderen Ort vergessen. Eine Rückgabe scheint für niemanden Priorität zu haben.
Von 1500 nur noch 40 übrig
Eigentlich plante man, einmal im Jahr den Bestand aufzustocken. Die derzeitige Geschwindigkeit, mit der die Regenischirme verloren gehen, zwingt die Betreiber nun, das gesamte Verleihsystem zu überdenken. Immerhin kostet ein Stück stolze 400 Yen. Offenbar ist Hakodate nicht alleine. Auch in der touristischen Stadt Otaru, ebenfalls auf der Nordinsel, steht man vor dem selben Problem. 1500 Leihschirme stellte man hier an 17 Orten zur Verfügung. Nach einem Jahr blieben nur noch 40 übrig. 240 Regenschirme kaufte die Stadt hinzu. Auch diese werden wohl früher oder später für immer verschwinden.
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