Ein Tag auf der Schlachtschiffinsel

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1887 begann Mitsu­bi­shi unter der klei­nen Fels­in­sel Hash­i­ma vor Naga­sa­ki Koh­le abzu­bau­en. Auf einer Flä­che von gera­de mal 6,3 Hekta­ren ent­stand im Ver­lauf vie­ler Jahr­zehn­te eine Stadt im Mini­for­mat mit zeit­wei­se über 5000 Ein­woh­nern. Hohe Beton­mau­ern schütz­ten die Bewoh­ner vor der stür­mi­schen See. Die Japa­ner gaben dem Ort wegen sei­ner Form den Über­na­men Gunkan­ji­ma, die «Schlacht­schif­fin­sel». Mit dem Auf­stieg des Erd­öls wur­de der Unter­gang der Insel besie­gelt. 1974 ver­lies­sen die letz­ten Ein­woh­ner die Insel. Hash­i­ma wur­de zur Geisterinsel.

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Je mehr Gunkan­ji­ma zer­fiel, des­to grös­ser wur­de die Fas­zi­na­ti­on für die­ses archi­tek­to­ni­sche Unding. Spä­tes­tens seit die Rui­nen im James-Bond-Film Sky­fall zur spek­ta­ku­lä­ren Kulis­se wur­den, hat der Ort welt­weit Bekannt­heit erlangt. Im Juli 2015 wur­de sie zusam­men mit 22 wei­te­ren his­to­ri­schen Stät­ten der Mei­ji-Zeit (1868 bis 1912) in die Lis­te des UNESCO-Welt­kul­tur­er­bes auf­ge­nom­men (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Dank Goog­le Street View kann man mitt­ler­wei­le einen vir­tu­el­len Spa­zier­gang durch die Geis­ter­in­sel machen (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

2009 wur­de die Insel für Tou­ris­ten geöff­net. Seit­her stei­gen die Besu­cher­zah­len jähr­lich an. Hash­i­ma hat sich zu einer der wich­ti­gen Sehens­wür­dig­kei­ten von Naga­sa­ki ent­wi­ckelt, die Japa­ner wie auch Aus­län­der fas­zi­niert. Seit ich 2004 zum ers­ten Mal auf Fotos die­ser ver­las­se­nen Wohn­häu­ser stiess, lässt auch mich die­se Insel nicht mehr los. Zwölf Jah­re spä­ter mache ich mich end­lich auf den Weg nach Hashima.

Die Sicht vom Schiff auf Hashima.
Die Sicht vom Schiff auf Hash­i­ma. Foto: Asi­en­spie­gel

Das Muse­um

Am Vor­tag mei­ner Tour besu­che ich das neue Gunkan­ji­ma Digi­tal Muse­um in der Stadt Naga­sa­ki (Asi­en­spie­gel berich­te­te), das sich in einem klei­nen Gebäu­de befin­det. 1800 Yen kos­tet der Ein­tritt. Es ist ein Preis, der sich zu zah­len lohnt. Denn das Muse­um bie­tet all das, was man beim Besuch der Insel als gewöhn­li­cher Tou­rist nicht selbst erle­ben kann. Anhand unzäh­li­ger Fotos und Vide­os erhält der Besu­cher einen ein­ma­li­gen Ein­blick in den dama­li­gen All­tag. Dazu gehö­ren die Nach­bil­dung einer typi­schen Fami­li­en­woh­nung auf Hash­i­ma sowie einer digi­ta­le Visua­li­sie­rung der kilo­me­ter­lan­gen Schäch­te unter der Insel.

Leben auf engstem Raum: Eine Nachbildung einer typischen Famiienwohnung auf Hashima.
Leben auf engs­tem Raum: Eine Nach­bil­dung einer typi­schen Famii­en­woh­nung auf Hash­i­ma. Foto: Asi­en­spie­gel

Im Muse­um begeg­ne ich Herrn Kino­shi­ta, einem älte­ren Herrn mit einem sym­pa­thi­schen Lächeln. Im 2. Stock heisst er mich freund­lich will­kom­men. Wir kom­men schnell ins Gespräch. Es hat nur weni­ge ande­re Gäs­te in den Aus­stel­lungs­räu­men. Anhand eines 3D-Modells (Asi­en­spie­gel berich­te­te) erklärt er mir gedul­dig die Form der Insel, die Funk­tio­nen der ein­zel­nen Gebäu­de, die Stras­sen und Wege. Auf Hash­i­ma wur­den im Jahr 1916 die ers­ten japa­ni­schen Wohn­hoch­häu­ser aus Beton gebaut, mit teil­wei­se bis zu 9 Stock­wer­ken. Es gab eine Schu­le, ein Kino, einen Fri­seur, ein öffent­li­ches Bad, einen Markt, einen Schrein, Bars, Restau­rants und ein Kran­ken­haus. Die Blü­te­zeit erleb­te die Insel 1959, als sie 5300 Ein­woh­ner zähl­te, was rund 1600 Haus­hal­ten entsprach. 

Seit 1974 ist die Insel verlassen.
Seit 1974 ist die Insel ver­las­sen. Foto: Asi­en­spie­gel

«Hier bin ich gebo­ren und auf­ge­wach­sen», erwähnt Kino­shi­ta-san fast bei­läu­fig und zeigt auf ein Gebäu­de am äus­se­ren Rand. Der gros­se Swim­ming­pool sei gleich neben­an gewe­sen. Der Vater führ­te das Kino. Als der Fern­se­her auf­kam, blie­ben die Kun­den aus. Kein ande­rer Ort in Japan wies eine höhe­re Dich­te an Men­schen und Fern­seh­ge­rä­ten auf. Die Leu­te hät­ten im Lan­des­ver­gleich über­durch­schnitt­lich gut ver­dient. «Jeder konn­te sich einen Fern­se­her leis­ten», erklärt er. Sei­ne Fami­lie blieb trotz­dem auf der Insel. Sein Vater sat­tel­te um und ging Koh­le abbau­en. Als Kind emp­fand Kino­shi­ta-san das Leben auf Hash­i­ma nicht als Ein­schrän­kung. Er erzählt mir von den unter­ir­di­schen Gän­gen zwi­schen den Gebäu­den, die ihm selbst bei stür­mi­schem Wet­ter den Weg zur Schu­le ermöglichten.

Kino­shi­ta-san spricht nost­al­gisch über die­se Zeit, ohne dabei weh­mü­tig zu wer­den. Viel­mehr ist er stolz, einem Frem­den von sei­ner Kind­heit auf die­sem klei­nen Fel­sen erzäh­len zu dür­fen. Das Muse­um ist gera­de dank eines Zeit­zeu­gens wie ihm äus­serst infor­ma­tiv. Der Fokus der Aus­stel­lung liegt auf der Blü­te­zeit der Nach­kriegs­jah­re. Ein Kapi­tel über die dunk­le­ren Jah­re im Zwei­ten Welt­krieg und die Zwangs­ar­bei­ter aus Korea und Chi­na, die auf Hash­i­ma ihr Leben lies­sen, sucht man vergebens.

Die Schiffs­tour

Am nächs­ten Tag geht es aufs Schiff. Nur ganz weni­ge Fir­men bie­ten die Tour nach Hash­i­ma an. Ich habe mei­nen Platz schon zwei Monat zuvor bei Gunkan­ji­ma Crui­se reser­viert. Das Ticket kos­tet 3600 Yen plus 300 Yen «Lan­dungs­ge­büh­ren». Das Schiff ist bis zum letz­ten Platz gefüllt. Ich neh­me auf dem offe­nen Ober­deck Platz, damit ich mich fürs Fil­men frei bewe­gen kann. Es ist ein kal­ter, aber son­ni­ger Früh­lings­tag mit blau­em Him­mel. Nach­dem das Schiff die Bucht von Naga­sa­ki ver­las­sen hat, wird es win­dig. Rund 40 Minu­ten dau­ert die Fahrt aufs offe­ne Meer. Son­nen­bril­le, eine Wind­ja­cke und eine Woll­kap­pe geben mir den not­wen­di­gen Schutz.

Hashima ist heute eine der gefragtesten Sehenswürdigkeiten von Nagasaki.
Hash­i­ma ist heu­te eine der gefrag­tes­ten Sehens­wür­dig­kei­ten von Naga­sa­ki. Foto: Asi­en­spie­gel

Die Tour von Gunkan­ji­ma Crui­se hat den Vor­teil, dass man auf der Nach­bar­in­seln Taka­shi­ma Halt macht, wo noch rund 700 Men­schen woh­nen. Es ist so etwas wie das leben­di­ge Über­bleib­sel von Hash­i­ma. Zusam­men mit der Schlacht­schif­fin­sel und zwei wei­te­ren Inseln bil­de­te sie einst eine eigen­stän­di­ge poli­ti­sche Gemein­de. Inzwi­schen ist die Insel ein Teil der Stadt Naga­sa­ki. Auf Taka­shi­ma wur­de eben­falls Koh­le abge­baut. Bis zu 3000 Men­schen leb­ten auf die­sem Eiland. Auch hier ste­hen Beton­wohn­häu­ser, die so gar nicht zum Insel­bild pas­sen. 1986 ging das Geschäft mit der Koh­le zu Ende. Heu­te leben die noch weni­gen Bewoh­ner vom Fisch­fang, Toma­ten­an­bau und den Tou­ris­ten, die hier kurz Halt machen. Nach einem kur­zen Stopp geht es schliess­lich weiter. 

Der Insel­be­such

Die Über­fahrt nach Hash­i­ma dau­ert kur­ze 15 Minu­ten. Ich habe Glück. Wegen des ruhi­gen Wel­len­gangs, dür­fen wir anle­gen. Bei stür­mi­schem Wet­ter, was kei­ne Sel­ten­heit ist, ist ein Besuch auf der Insel selbst nicht mög­lich. Man beschränkt sich dann auf ein paar Umrundungen.

Das ehemalige Schulgebäude von Hashima.
Das ehe­ma­li­ge Schul­ge­bäu­de von Hash­i­ma. Foto: Asi­en­spie­gel

Weil vie­le Gebäu­de auf der Schlacht­schif­fin­sel der­art ein­sturz­ge­fähr­det sind, ist der Zutritt nur auf einem abge­si­cher­ten Abschnitt gestat­tet. Für gewöhn­li­che Besu­cher gibt es kei­ne Mög­lich­keit, ein Haus zu betre­ten. Für einen exklu­si­ven Zutritt bräuch­te es eine spe­zi­el­le Bewil­li­gung – oder man ver­steht sich gut mit einem Fischer aus Taka­shi­ma, so habe ich gehört. Denn die­sen dür­fen sich fürs Fischen auf den hohen Schutz­mau­ern von Hash­i­ma aufhalten.

In den Wohnungen auf dem Hügel lebte die höheren Angestellten. Ihre Wohnungen hatten eigene Bäder.
In den Woh­nun­gen auf dem Hügel leb­te die höhe­ren Ange­stell­ten. Ihre Woh­nun­gen hat­ten eige­ne Bäder. Foto: Asi­en­spie­gel

Trotz des ein­ge­schränk­ten Bewe­gungs­ra­di­us lohnt sich jede der 50 Minu­ten, die man hier sein darf. Ich bewe­ge mich ganz zuhin­terst, las­se die Rei­se­grup­pen ihre Fotos machen und neh­me mir dann die Zeit für mei­ne Auf­nah­men. Die Mit­ar­bei­ter las­sen mich freund­lich gewäh­ren, geben mir Zeit bis zur letz­ten Sekunde.

Blick in ein Wohnhaus.
Blick in ein Wohn­haus. Foto: Asi­en­spie­gel

Ein Mahn­mal, eine Erinnerung

Es ist ein eigen­ar­ti­ges Gefühl auf einer Insel zu sein, auf der einst über 5000 Men­schen leb­ten und die heu­te ein von der UNESCO geschütz­tes «Frei­licht­mu­se­um» ist, ein Sym­bol der japa­ni­schen Indus­tria­li­sie­rungs­epo­che, als der wirt­schaft­li­che Auf­schwung nicht ein­mal vor einer fel­si­gen Insel Halt mach­te. Ihr heu­ti­ger Zustand macht sie zu einem Mahn­mal für die gren­zen­lo­se Gier des Men­schen nach Profit.

1916 erbaut: Japans ältestes 7-stöckiges Wohnhaus, das aus Beton gebaut wurde.
1916 erbaut: Japans ältes­tes 7-stö­cki­ges Wohn­haus, das aus Beton gebaut wur­de. Foto: Asi­en­spie­gel

Gleich­zei­tig führ­ten auf Gunkan­ji­ma unzäh­li­ge Men­schen nach dem Krieg ein ganz nor­ma­les Leben, gin­gen hier zur Schu­le oder zur Arbeit. Umso mehr Wert hat in die­sem Moment für mich der Besuch am Vor­tag im Muse­um. Ich erbli­cke das gros­se Wohn­haus vor mir, wo Kino­shi­ta-san leb­te und ste­he gleich an der Stel­le, wo der Swim­ming­pool war. Es sind die Orte sei­ner Kind­heits­er­in­ne­run­gen. Die Schlacht­schif­fin­sel ist zwei­fel­los die spe­zi­ells­te tou­ris­ti­sche Erfah­rung, die ich in Japan bis­lang gemacht habe.

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