Arbeiten bis zum Selbstmord
Japans Arbeitsleben ist hart, Überstunden die Regel und kaum ein Angestellter gönnt sich eine Auszeit. Die Folge sind mental und körperlich überarbeitete Angestellte, die sich im schlimmsten Fall wortwörtlich zu Tode arbeiten. Selbst einen Namen gibt es für dieses Phänomen in Japan: «Karoshi», «der Tod durch Überarbeitung» (Asienspiegel berichtete).
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Auch wenn das japanische Arbeitsrecht klare Linien vorgibt – erlaubt sind maximal 40 Überstunden pro Monat – halten sich die wenigsten Firmen daran. Die Mitarbeiter beklagen sich kaum. Für den Arbeitgeber stets präsent zu sein, gehört zum guten Ton. Ausserdem ist die Überstundenbezahlung oft ein wichtiger Bestandteil des Lohns.
Der Fall Dentsu
Regelmässig liest man in den japanischen Medien von Karoshi-Fällen. Zuletzt sorgte der Selbstmord einer jungen Angestellten der grossen japanischen Werbeagentur Dentsu für Schlagzeilen. Die 24-jährige war laut der Sankei Shimbun im April 2015 als Absolventin der renommierten Universität Tokio in die Firma eingetreten.
Eine Auszeit hatte sie seither kaum. Bis zu 130 Überstunden monatlich leistete sie und schlief manchmal nur noch 2 Stunden, bis sie nicht mehr konnte und sich im Dezember 2015 im Firmenwohnheim das Leben nahm. Die staatliche Aufsichtsbehörde für die Einhaltung des Arbeitsrechts hat dies nun offiziell als Karoshi-Fall eingestuft. Damit haben die Hinterbliebenen Anrecht auf Schadenersatz.
Die Kritik des Professors
Obwohl diese Kultur der ständigen Präsenz am Arbeitsplatz inzwischen von der Regierung in einem Weissbuch thematisiert und aktiv bekämpft wird (Asienspiegel berichtete), mangelt es an zu vielen Orten noch immer an einem Verständnis für diese Problematik. So schrieb ein gewisser Professor Hideo Hasegawa von der Universität Musashino nach der Publikation des Karoshi-Weissbuchs in einem Online-Kommentar auf einer News-Site: «Dass jemand wegen mehr als 100 Überstunden Selbstmord begeht, ist beschämend.» Für einen professionellen Mitarbeiter mit einem Bewusstsein zur Pflichterfüllung dürften Überstunden keine Rolle spielen, kritisierte er weiter.
Der Kommentar löste eine Welle der Kritik aus. Die Worte des Professors seien gerade hinsichtlich des aktuellen Dentsu-Falles unsensibel und trügen dazu bei, dass es noch immer zu Todesfällen durch Überarbeitung komme. Professor Hasegawa löschte in der Folge den Kommentar und entschuldigte sich für die unangemessene Wahl seiner Worte. Er habe dies geschrieben, weil er aus eigener langjähriger Erfahrung in der Privatwirtschaft wisse, dass Überstunden für eine Firma unerlässlich seien.
Die Entschuldigung der Universität
Seinen jetzigen Arbeitgeber überzeugte er damit aber nicht. Der Präsident der Universität Musashino entschuldigte sich in einem Beitrag auf der Homepage zutiefst für das Verhalten des Professors. Seine Aussagen stünden im Widerspruch mit den Prinzipien und Richtlinien der Universität. Man erwäge disziplinarische Massnahmen gegen den Mitarbeiter und bemühe sich darum, dass ein solcher Vorfall nicht wieder vorkomme.
Trotz einer zunehmenden Sensibilisierung zeigt der Fall, dass die Kultur der kompletten Überarbeitung vielerorts in Japan noch immer als ein Selbstverständnis angesehen wird. Ein Umdenken wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen.
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