Flucht nach Grabsch-Vorwurf
Sexuelle Belästigungen in den überfüllten Zügen sind seit Jahrzehnten ein gesellschaftliches Problem in Japan (Asienspiegel berichtete). Bereits vor Jahren wurden Wagenabteile eigens für Frauen geschaffen, Sicherheitsleute eingestellt, Kameras installiert und Warnplakate in den Bahnhöfen aufgestellt.
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Trotz all dieser Bemühungen treiben die Grabscher, auf Japanisch Chikan, weiter ihr Unwesen. Jährlich werden über 4000 Chikan-Fälle der Polizei gemeldet. Die Dunkelziffer ist noch viel höher ist. Gegen sexuelle Belästigung im Zug wird inzwischen hart vorgegangen. Den Grabschern droht in Japan eine Geldstrafe von 500’000 Yen oder bis zu 10 Jahren Gefängnis.
Die andere Seite
Da gibt es aber auch noch eine andere Seite: Ist ein Mann heute dem Vorwurf des Grabschens ausgesetzt, dann muss er davon ausgehen, dass er verurteilt wird, ja selbst wenn er unschuldig ist. Denn wird er vor Ort angeschuldigt und vom Bahnpersonal festgehalten, ist eine Verhaftung gewiss. Bis zu 23 Tagen kann der Staatsanwalt ihn in Untersuchungshaft stecken, ohne weitere Begründung und ohne Anklage. Kommt es zur Anklage, wird der Beschuldigte in 99 Prozent der Fälle verurteilt. Denn so hoch ist die allgemeine Verurteilungsquote in Japan (Asienspiegel berichtete). Hinzu kommen alle negativen Folgen für das berufliche und familiäre Leben.
Dieses Justizsystem hat dazu geführt, dass selbst viele Rechtsexperten den Männern empfehlen, besser die Flucht zu ergreifen, sollten sie denn wirklich unschuldig sein. Gerade das Chikan-Phänomen hat sich als rechtliches Minenfeld entpuppt, bei dem kaum auf Augenzeugen zurückgegriffen werden kann. Fluchtfälle, ob von Schuldigen oder Unschuldigen, ereignen sich denn auch regelmässig. Alleine im März und April flohen fünf Männer vom Bahnhof, als ihnen der Chikan-Vorwurf gemacht wurde. Vor einigen Tagen kam es sogar zu einem tödlichen Zwischenfall, als ein Beschuldigter über die Gleise wegrannte und von einem Zug erwischt wurde, wie TBS News berichtete.
Die Ratschläge eines Anwalts
Das Problem dabei ist, dass gerade auf der Flucht weitere Verstösse begangen werden, wie die Mainichi Shimbun berichtet. Es kann zur Behinderung des öffentlichen Verkehrs, zu unerlaubten Betreten von Privatgrund oder nach einem Zusammenstoss zur Verletzung unschuldiger Personen kommen.
Ein Anwalt rät im Gespräch mit der Zeitung daher ab, wegzurennen. Die Polizei sei nach der öffentlichen Kritik vorsichtiger geworden, betont dieser. Den Personen, die falschen Anschuldigen ausgesetzt seien, empfiehlt er, sich beim Bahnpersonal mit einer Visitenkarte vorzustellen. Denn sei man einmal identifiziert, sei die Chance kleiner, dass man am Tatort wegen Fluchtgefahr festgehalten und so ungewollt in Untersuchungshaft gerate. Es lohne sich auch, möglichst schnell einen Anwalt zu kontaktieren und Augenzeugen, die einen entlasten können, auszumachen.
Hände hoch
Die Angst vor einer falschen Anschuldigung, bereitet vielen Männern derart Sorge, dass sie während der Fahrt demonstrativ beide Hände im Zug jeweils am Halteriemen festhalten. Denn niemand will bei dieser Rechtslage dem Vorwurf des Chikan ausgesetzt sein. Um das Problem zu lösen, werden in den sozialen Medien in Japan nun radikale Lösungen diskutiert, wie Blogos berichtet. Anstatt nur ein Wagen sollen künftig alle Wagen während der Stosszeiten nach Geschlechtern getrennt werden, so ein Vorschlag, der auf viel Zustimmung stösst.
Der Film «I Just didn’t do it» (jap. «Sore demo boku wa yattenai») thematisierte übrigens bereits 2007 diese Problematik. Regisseur Masayuki Suo («Shall we dance») drehte dabei den Spiess um und porträtierte einen zu Unrecht wegen Grabschens beschuldigten Mann.
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