Yamabushi: Die letzten Bergmönche von Yamagata
In Nordjapan praktizieren die Yamabushi eine einst verbotene uralte Religion. Obwohl ihre Traditionen heute bedroht sind, ermöglichen sie ein alternatives Leben in der Gesellschaft. Eine Reportage und ein Film von Fritz Schumann.
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Shugendō – eine Religion mit vielen Aspekten
Yamabushi – die sich in den Bergen niederlegen – sind Anhänger von Shugendō: eine Naturreligion, welche japanischen Shintō und Buddhismus kombiniert, aber unter anderem auch Elemente aus dem chinesischen Daoismus und dem Schamanismus hinzufügt. Es ist eine asketische Lebensweise. Die Yamabushi laufen barfuss durch Flüsse, meditieren unter Wasserfällen und verbringen die Nacht auf Berggipfeln.
Fritz Schumann ist Autor des Buchs «Japan 151 – Ein Land zwischen Comic und Kaiserreich in 151 Momentaufnahmen», das 2019 bereits in der 5. Auflage erschienen ist. Es sind 151 persönliche Einblicke in die japanische Kultur und Gesellschaft. Sehr empfehlenswert!
Ihre Lehren gibt es seit 1400 Jahren und sie erreichten ihren Höhepunkt im 17. Jahrhundert, als Yamabushi ungefähr 90 Prozent aller Dörfer in Nordjapan besuchten. Die Mönche galten als übernatürlich, ihnen wurden magische Kräfte nachgesagt und sie berieten Samurai und Kriegsherren. Doch im 19. Jahrhundert, als sich Japan dem Westen öffnete und der Feudalstaat sich zu einer Industrienation verwandelte, wurde Shugendō verboten. Das hatte bürokratische Gründe: Um Religion besser organisieren und kontrollieren zu können, wurden Japaner entweder in Buddhisten oder Shintōisten eingeteilt – Shugendō, eine Mischform der beiden, war nicht erlaubt.
Glaube im Geheimen
Shugendō wurde vor seinem Verbot zwar in ganz Japan als Religion praktiziert, doch die meisten Orden und Schulen reformierten sich, um den neuen Konventionen zu entsprechen. Nur die Yamabushi in der Präfektur Yamagata bewahrten versteckt ihre Traditionen. Sie praktizieren auf den drei heiligen Berge des Dewa, nahe der Stadt Tsuruoka, ungefähr vier Zugstunden von Tokio entfernt. Das politische Zentrum der Präfektur liegt jenseits der Berge; damals wie heute sorgt das für eine gewisse Isolation, die den Mönchen dabei half, ihre Kultur zu erhalten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Japan die allgemeine Religionsfreiheit eingeführt und man konnte wieder Shugendō praktizieren. Doch so viele Mönche, wie es sie vor dem Verbot gab, wurden es nie mehr. Um Yamabushi zu werden, muss man das Aki no Mine-Training absolvieren («Der Höhepunkt des Herbstes»). Im Mittelalter konnten die Übungen zwischen 100 und 275 Tagen dauern, heute betrachten einige Meister das Training nach 75 Tagen oder sogar einer Woche schon als absolviert. Im Zentrum steht die Reduzierung jeglichen Komforts auf ein Minimum: Wärme, Hygiene, sogar das Sprechen. In den Bergen soll man fühlen und nicht denken, sagen die Meister.
Auf dem Berg Haguro, dem wichtigsten der drei heiligen Berge in Yamagata, kämpfen zwei rivalisierende Ausprägungen der Yamabushi um die sinkende Zahl der Pilger und Spenden. Eine der Gruppen schwört auf Verschwiegenheit und möchte Aussenstehende nicht in die alte Tradition einweihen. Die andere öffnet sich, lässt auch Frauen und Ausländer die Übungen mitmachen. Meister Hoshino, Yamabushi in der 13. Generation, gehört zu ihnen.
Ein Lehrer für wenige Schüler
«Wer den Berg betritt, stirbt und wird neugeboren», sagt Meister Hoshino, 72 Jahre alt. Seine Definition von Shugendō lautet: «Die Lehre und Philosophie von dem, was man denkt, wenn man in der Natur ist.» Ihm geht es bei seinen Lehren aber nicht um eine Hierarchie, Meister Hoshino möchte Yamabushi ausbilden, auf dass diese dann selbst ausziehen und eigene Mönche ausbilden. Er schätzt, dass im Raum Tsuruoka weniger als hundert Anhänger ihm folgen. Die Anzahl der Yamabushi im heutigen Japan ist schwierig zu ermitteln, da fast alle von ihnen ein normales Leben mit Arbeit und einer Familie führen.
So bekommt auch Meister Hoshino zwar Spenden von Pilgern, seinen Lebensunterhalt verdient der Rentner aber mit dem Betreiben einer Herberge. Noch vor 30 Jahren, so beschreibt es der Meister, gab es 300 Herbergen in Tsuruoka. Heute sind es nur noch 30 und der Meister schätzt, dass es in 20 Jahren nur noch zehn sein werden, die übrig sind.
Die gelebte Religionsfreiheit in Japan bedeutet, dass viele sich mehr als einer Religion zugehörig fühlen: In einer Untersuchung von 2017 geben 80 Prozent aller Japaner an, Shintoisten zu sein, aber auch zu 66 Prozent Buddhisten und 1,5 Prozent Christen. Allerdings sehen sich auch 60 Prozent aller Japaner als Atheisten und nicht sonderlich gläubig. Der Begriff Religion ist ambivalent in Japan und nur wenige begeben sich heute auf eine Pilgerfahrt – und wenn, dann ist die Motivation eine andere.
Welches Leben möchte man leben
Für Kato Takeharu, ein Schüler von Meister Hoshino, war die Geburt seines Sohnes der Grund, sein Leben zu ändern und Mönch zu werden. Vor seinem Umzug nach Tsuruoka lebte er in Ueno, ein Stadtteil im Norden von Tokio. Er arbeite für die älteste Werbefirma in Japan, ein gutbezahlter Job. Doch glücklich war er nicht. Bei einer Geschäftsreise lernte er Meister Hoshino kennen und kam so mit den Yamabushi in Berührung. Kurze Zeit später zog er mit seiner Familie aufs Land nach Yamagata und wurde Mönch. «Ich wollte meinem Sohn nicht vorleben, wie es ist, ein trauriger Erwachsener zu sein», sagt der heute 52-Jährige. Inzwischen hat er das Aki no Mine-Training schon sechsmal absolviert.
Die Entscheidung fiel nicht leicht; es gilt als Versagen, nach dem Leben in einer grossen Stadt wieder auf das Land zu ziehen. Aber zurückblickend war es für ihn die richtige Entscheidung: «Mein Leben hat sich zu 95 Prozent verbessert», sagt er. «Ich vermisse nur die merkwürdigen Menschen aus der Stadt manchmal.»
Doch die Infrastruktur in der Region ist seit Jahrzehnten schwach, wichtigster Wirtschaftsfaktor ist der Anbau von Reis. Der Mangel an Industrie liess die Naturlandschaft und alte Stätten unberührt. Das half den Yamabushi in den letzten Jahrhunderten, ihre uralte Tradition zu bewahren. Die Frage bleibt, wie lange noch.
Ich habe die Yamabushi im Winter 2017/2018 besucht, zu einer Zeit, in der sich viel in meinem Leben änderte. Ich war fasziniert von ihrer Suche nach der inneren Ruhe und der Balance zwischen Mensch und Natur. Die Mönche im Wald und der Tempel im Schnee gehören zu den schönsten Bildern die ich je gedreht habe. Mehr zum Hintergrund des Filmes und der Art, wie ich ihn umgesetzt habe, gibt es hier.
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