Japans eigener Umgang mit der Krise
In Japan wurden im März grosse Veranstaltungen und Konzerte abgesagt, Sportanlässe verschoben, Museen und Vergnügungspärke geschlossen und weitreichende Einreiseverbote erlassen (Asienspiegel berichtete). Die Flug- und Tourismusbranche hat es stark getroffen (Asienspiegel berichtete). Auch im Inselstaat ist die Angst um Covid-19 in den Medien und in den Köpfen der Menschen ständig präsent, Zurückhaltung ist das Wort der Stunde. Und dennoch nimmt der Alltag im Inselstaat im Vergleich zu Europa seinen gewöhnlichen Lauf.
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Es ist Kirschblütenzeit. Die Menschen spazieren in grossen Scharen durch die Parkanlagen. Büros, Geschäfte, Restaurants und Hotels haben geöffnet. Der öffentliche Verkehr ist ebenfalls in Betrieb. Vor zwei Wochen kamen Tausende zur Eröffnung des neuen Bahnhofs Takanawa Gateway (Asienspiegel berichtete). In Saitama fand am Wochenende ein Kampfsport-Anlass mit 6500 Zuschauern statt. Am 21. März strömten über 50‘000 Menschen in den Bahnhof Sendai, um die olympische Flamme zu sehen. Anfang April soll sogar der Schulbetrieb wieder beginnen. Krise ist anders.
Die Kritik
So fragt man sich, ob Japan die Lage tatsächlich im Griff hat? Die Ansteckungszahlen nehmen zwar stetig zu, jedoch nicht explosionsartig. Am 25. März 2020 waren es 1193 bestätigte Fälle in einem Land mit 127 Millionen Einwohnern (Asienspiegel berichtete). Alles kein Problem, möchte man meinen. Es gibt jedoch Kritik.
Die Regierung halte die Zahlen bewusst tief, um die Sommerspiele nicht zu gefährden, hiess es lange. Dieses Thema ist seit gestern jedoch vom Tisch (Asienspiegel berichtete). Ein weiterer Vorwurf: Das Land nimmt schlichtweg viel zu wenige Tests vor. Tatsächlich geht man diesbezüglich sparsam um. Vom 18.2. bis 22.3. waren etwas über 40‘000. Das ist weitaus weniger als in der kleinen Schweiz, wo schon über 80‘000 Tests gemacht wurden. Das japanische Gesundheitsministerium hält offensichtlich bewusst an diesem Weg fest. Es scheint, dass man damit das Gesundheitssystem vor einem Ansturm bewahren möchte. Japan war auch eines der ersten Länder, das betonte, man solle bei ersten schwachen Symptomen zunächst mal vier Tage zuhause bleiben und nicht gleich zum Arzt rennen.
Das Lob
Vielleicht lässt sich die relativ überschaubare Lage auch ganz anders erklären. In Japan hält man ganz natürlich eine gewisse Distanz zum Gegenüber. Man schüttelt sich nicht die Hände, gibt keine Küsschen und umarmt sich auch nicht bei jeder Gelegenheit. Der Mundschutz gehört schon lange zum Alltagsbild. Im voll besetzten Zug ist man still. Es finden keine unnötigen Smalltalks statt. Schon Ende Januar verstärkte man wegen der Krise im Nachbarland China die Hygienemassnahmen, was zu einem drastischen Rückgang der saisonalen Grippefälle führte (Asienspiegel berichtete).
Bis heute wird zudem jeder Covid-19-Fall dokumentiert und anonymisiert auf der Website des Gesundheitsministeriums publiziert. Man erfährt so den Krankheitsverlauf und die Aufenthaltsorte vor der Erkrankung. Betroffene in der unmittelbaren Region können somit besser einschätzen, ob sie möglicherweise angesteckt wurden. Mögliche Cluster werden mit dieser Methode schnell entdeckt.
Der Zustand der Spitäler
Welche These nun stimmt, ist schwer zu sagen. Letztendlich lässt sich eine Häufung von Fällen nicht verstecken. Die Öffentlichkeit bemerkt es spätestens, wenn die Krankenhäuser Alarm schlagen. Das war auf der Nordinsel Hokkaido Ende Februar der Fall. Dort stiegen damals die Zahlen derart rasant an, dass der Gouverneur für drei Wochen den Notstand ausrief und die Leute bat, möglichst zuhause zu bleiben. Seither haben sich die Zahlen stabilisiert, die Krankenhäuser konnten aufatmen. Der Notstand ist seit dem 19. März 2020 aufgehoben (Asienspiegel berichtete).
Die lauernde Gefahr
Ausgestanden ist die Coronavirus-Krise deswegen noch lange nicht, ganz im Gegenteil. Inzwischen hat sich der Fokus auf die urbanen Regionen verschoben. Die Gouverneur der Nachbarpräfekturen Osaka und Hyogo schlugen vor dem Feiertagswochenende von letzter Woche Alarm. Man solle auf Reisen zwischen den beiden Regionen möglichst verzichten. Im schlimmsten Fall könne die Zahl der Infizierten in beiden Präfekturen in den nächsten zwei Wochen von heute 250 auf über 3300 ansteigen.
Auch in der Hauptstadt ist man besorgt. Yuriko Koike, die Gouverneurin der Metropolregion Tokio, betonte, dass man nun in einer kritischen Phase sei. Bis zum 12. April solle man weiterhin von grösseren Veranstaltungen und Ansammlungen bitte absehen, um das Risiko von weiteren Cluster-Bildungen und einer explosionsartigen Verbreitung zu verhindern. Die Unternehmen bittet sie, auf Home-Office zu setzen.
Die Rede vom Lockdown
Inzwischen hat Tokio 211 bestätigte Covid-19-Fälle (Stand: 25. März). Seit Mitte März vermeldet man hier täglich rund 10 neue Fälle. Gestern waren es 17. Heute mindestens 40. Wie hoch die Dunkelziffer ist, weiss niemand. Damit hat Tokio die bisherige Krisenregion Hokkaido überholt. Die Entwicklung bereitet Sorge. Koike sprach erstmals davon, dass sie im schlimmsten Fall einen Lockdown in Betracht ziehen müsse, wie die Sankei Shimbun berichtet. In den nächsten drei Wochen wird man genau hinschauen, wie sich die Lage in den urbanen Regionen weiterentwickeln wird. Zumindest ist der Druck, wegen Tokyo 2020 möglichst viel Normalität zur Schau zu stellen, nun endgültig weg.
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