Die Gefahr der zweiten Covid-19-Welle
Naomichi Suzuki ist gerade mal 39 Jahre alt und bereits Gouverneur der Präfektur Hokkaido. Er ist einer der wenigen Lokalpolitiker, die man im ganzen Land kennt. Das hat einerseits mit seiner ungewöhnlichen Karriere zu tun. Denn Suzuki stammt nicht einmal von der Nordinsel. In Saitama bei Tokio wurde er geboren. Karriere machte er in der Tokioter Stadtverwaltung, die in 2008 nach Yubari in Hokkaido entsandte.
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Die einstige Kohlestadt ging ein Jahr zuvor bankrott und wurde unter Zwangsverwaltung des Staates gestellt. Die Einwohnerzahl war von einst 120’000 Einwohnern auf 9000 geschrumpft (Asienspiegel berichtete). Suzuki blieb und wurde 2011 Bürgermeister. Er sanierte den Haushalt, reorganisierte die öffentlichen Dienstleistungen, bekämpfte die Ausdünnung der Stadt, indem er die Leute überzeugte, in neue Wohnblöcke im Zentrum zu ziehen. Dank Suzuki erhielt Yubari ein Gesicht in Japan. Die landesweit bekannten Yubari-Melonen erzielten neue Rekordpreise (Asienspiegel berichtete). Die Belohnung für diese Mühe war die Wahl zum jüngsten Gouverneur des Landes im vergangenen Jahr.
Der erste Covid-19-Notstand in Japan
Seine landesweite Bekanntheit ist aber auch auf einen mutigen Entscheid in der Coronavirus-Krise zurückzuführen. Als die japanische Regierung in Tokio Ende Februar erst zögerlich Massnahmen ergriff und noch fest an den Olympiaplänen festhielt, schlug Suzuki bereits Alarm. Am 28. Februar verkündete er, Mundschutz tragend, den dreiwöchigen Notstand für die gesamte Nordinsel. Das Bild prägte sich ein. Eine rechtliche bindende Grundlage gab es hierfür nicht. Doch die Botschaft war klar: Wenn jetzt nichts getan wird, dann gerät die Lage ausser Kontrolle.
Damals zählte Hokkaido am meisten Covid-19-Fälle. Nur wenige Tage nach dem ersten bekannten Fall war man schon bei 63 Erkrankungen angekommen. Das für damalige Verhältnisse viel. Die Ansteckungen traten zudem überall auf der Insel auf. Suzuki mahnte, enge und schlecht durchlüftete Räumlichkeiten sowie grosse Ansammlungen zu meiden und möglichst zu Hause zu bleiben, besonders an den Wochenenden. Zur gleichen Zeit waren im Rest des Landes die Restaurants und Bars allabendlich noch gut gefüllt.
Die erste Welle
In Hokkaido kam die Warnung an. Einwohner und viele Geschäfte zogen mit. Die Schulen blieben geschlossen. Man übte sich für drei Wochen in Selbstbeschränkung. Für die lokale Wirtschaft war dies ein harter Schlag. Die für Hokkaido so wichtigen Tourismuszahlen brachen ein. Doch die Massnahmen zeigten Wirkung. Nach zwei Wochen Notstand wurden nur noch vereinzelt neue Covid-19-Fälle gezählt. Die Kurve flachte ab. Eine explosionsartige Verbreitung konnte verhindert werden. 154 Fälle waren es am 18. März 2020. Die Krankenhäuser in Hokkaido konnten aufatmen. Die Nordinsel war aus den Schlagzeilen heraus. Derweil bahnte sich auf der grossen Hauptinsel Honshu die Krise erst gerade an.
Gouverneur Suzuki beendete am 19. März 2020 den Notstand. Nun ging es darum, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten wieder in die Gänge zu bringen und dies in Einklang mit den Corona-Vorsichtsmassnahmen. Eine vorsichtige Entspannung stellte sich ein. Die Schweiz, Österreich und Deutschland scheinen heute an einem ähnlichen Punkt zu sein und daher stellt sich die für alle interessante Frage, wie es denn weiterging in Hokkaido?
Die zweite Welle
Zunächst ganz gut. Die Neuinfektionen blieben tagelang tief. Doch knapp drei Wochen später kam die nächste Welle mit 10 bis 20 Neuinfektionen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Am gestrigen 15. April 2020 gab es in Hokkaido 313 bestätigte Covid-19-Fälle. Landesweit ist die Präfektur damit an neunter Stelle.
Gouverneur Naomichi Suzuki machte am 12. April 2020 ein weiteres Mal etwas, das noch niemand vor ihm in Japan getan hatte. Er rief zum zweiten Mal einen Notstand aus, dieses Mal zusammen mit dem Bürgermeister von Sapporo (siehe Tweet unten). Die zweite Welle habe Hokkaido und insbesondere Sapporo erreicht. Die Schulen sind nun ein weiteres Mal bis zum 6. Mai geschlossen. Das gilt auch für viele andere öffentliche Einrichtungen in Sapporo. Die Bewohner wurden aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben. Von Reisen nach Sapporo und in andere Notstandspräfekturen wird abgeraten. Am Flughafen New-Chitose bei Sapporo werden nun die Körpertemperaturen der ankommenden Passagiere aller Inlandflüge anhand von Wärmebildkameras geprüft. Internationale Flüge kommen hier schon länger nicht mehr an. Man ist wieder in Alarmbereitschaft.
Der Fall Hokkaido ist eine Erinnerung daran, dass diese Krise noch lange nicht ausgestanden ist. Stets lauert die Gefahr der nächsten Welle – und mit ihr neue Restriktionen und Rückschläge. Es gilt daher, vorsichtig zu bleiben.
Der selbsterklärte Notstand
Der Tatendrang von Naomichi Suzuki hat übrigens Schule gemacht. Inzwischen haben bereits neun Präfekturen ohne die Zustimmung von Tokio eigenhändig den Notstand ausgerufen. Es sind dies die Aichi mit der Präfekturhauptstadt Nagoya (Asienspiegel berichtete), Gifu, Mie, Hokkaido, Ishikawa und Fukui. Shiga und Miyagi werden es vermutlich heute noch gleichtun. Denn offiziell gilt seit dem 7. April erst für die sieben urbanen Präfekturen Tokio-Saitama-Chiba-Kanagawa, Osaka-Hyogo und Fukuoka der Notstand.
Eine Ausweitung möchte die Zentralregierung offenbar möglichst vermeiden. Eine Notstandserklärung ist in ihren Augen erst notwendig, wenn die Verdoppelung der Covid-19-Fälle rasant abläuft und eine Mehrheit der Fälle nicht mehr rückverfolgbar ist. Die Gouverneure vieler Präfekturen haben jedoch keine Zeit mehr, auf diese Analysen zu warten.
Update, 16. April 2020
Die japanische Regierung hat beschlossen, den Notstand fürs ganze Land auszurufen.
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