Das abrupte Ende der Aufbruchsstimmung
Ähnlich wie in der Schweiz ist in Japan in den vergangenen Tagen Ruhe eingekehrt. Die Zahl der Neuansteckungen hat sich im tiefen zweistelligen Bereich stabilisiert. Am Montag hatte die Regierung den Covid-19-Notstand schliesslich auch für die Präfekturen Hokkaido sowie Tokio-Chiba-Kanagawa-Saitama aufgehoben. Zuvor wurden bereits 39 Präfekturen aus diesem Ausnahmezustand entlassen. In einigen Regionen hatte man seit Wochen keinen einzigen neuen Fall mehr registriert, wie zum Beispiel in der Millionenstadt Kitakyushu auf der Südinsel Kyushu.
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Am 1. April war dort der Höhepunkt der Krise mit 21 Covid-19-Fällen erreicht. Danach flachte die Welle kontinuierlich ab. Seit dem 30. April wurde kein einziger Fall mehr verzeichnet. Auch hier hatte man sich in den vergangenen Tagen daran gemacht, die Wirtschaft wieder in die Gänge zu bringen. Museen, Bibliotheken und Sehenswürdigkeiten wurden wieder eröffnet. Am Dienstag empfing die lokale Kokura-Burg die ersten Besucher wieder. Fast drei Monate lang war der Zutritt verboten.
Jeden Tag neue Fälle
Nun ist die Aufbruchsstimmung jedoch abrupt zu Ende. Am 23. Mai wurden drei Personen in Kitakyushu positiv getestet. Sechs Tage später war die Zahl der Neuinfizierten auf 43 hochgeschnellt (Stand: 28. Mai). Davon konnten 21 Ansteckungen nicht zurückverfolgt werden. Die Fälle ereigneten sich in 6 der 7 Stadtbezirke. Bürgermeister Kenji Kitahashi schlug gestern Alarm. Falls es in diesem Tempo weitergehe, drohe Kitakyushu in eine zweite Welle mit einem womöglich exponentiellen Wachstum zu geraten.
Damit ist schneller als erwartet ein Szenario eingetreten, mit dem alle Länder irgendwann in der Post-Notstandsphase konfrontiert sein werden. Kitakyushu hat reagiert. 43 öffentliche Orte wurden geschlossen, von der Stadt geplante Veranstaltungen abgesagt. Die Kokura-Burg darf nur zwei Tage nach ihrer Eröffnung keine Besucher mehr empfangen. Die Bewohner wurden zudem aufgerufen, den eigenen Bewegungsradius möglichst einzuschränken. Ausserdem wurde ein Expertenteam des Gesundheitsministeriums in die Stadt entsandt.
Analog und effektiv: Japans Contact-Tracing
Nun geht es darum, sämtliche neuen Covid-19-Fälle genauestens zu analysieren, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Das japanische Gesundheitswesen arbeitet hierbei mit einem analogen aber äusserst effektiven Kontaktverfolgungs-System, das Clusters aufspürt und sämtliche Mitglieder dieser gefährdeten Gruppe ausnahmslos isoliert. Dabei erhält jeder Fall eine Nummer. Der Krankheitsverlauf sowie die Aktivitäten der Erkrankten werden Tag für Tag rekonstruiert und ohne Nennung des Namens online publiziert (hier ein Beispiel). Potenzielle Risikoorte, wie der Arbeitsort oder eine Schule, werden genannt und die dazugehörigen Massnahmen beschrieben (hier ein Beispiel). Ein grosser Teil der gestrigen Covid-19-Fälle ist beispielsweise auf ein Krankenhaus zurückzuführen, wo sich mindestens 11 Angestellte angesteckt haben.
Dank dieser Methode kann jeder online nachschauen, ob er einem Infektionsrisiko möglicherweise ausgesetzt war. Japan hat diese Form der konsequenten Kontaktverfolgung stets aufrechterhalten, selbst als die Fälle rasant zunahmen. Dieses System mag ein Grund dafür sein, dass der Inselstaat die Epidemie vergleichsweise gut kontrollieren konnte und stets die Übersicht über die grossen Cluster-Bildungen im Land besass. Übrigens hat Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité, diese Vorgehensweise der frühen Cluster-Erkennung und der sofortigen Isolierung von dessen Mitgliedern im gestrigen NDR-Podcast vom 28. Mai 2020 (Folge 44) als ein vorbildliches Beispiel hervorgehoben.
Ab Mitte Juni kommt die App
In Kitakyushu wird man sich ein weiteres Mal auf dieses analoge Kontaktverfolgungs-System verlassen müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Zusätzlich wird Japan Mitte Juni eine «Contact Tracing»-App einführen, die mit der schweizerischen fast identisch ist. Via Bluetooth sollen so Begegnungen von maximal 1 Meter Distanz und einem Zeitraum von über 15 Minuten automatisch registriert werden. Während 14 Tagen werden diese im Smartphone verschlüsselt gespeichert. Dies ermöglicht, allfällig gefährdete Personen zu benachrichtigen.
Das System wird wie in der Schweiz auf Freiwilligkeit basieren. Regierungschef Shinzo Abe hat die App als ein wichtiges Instrument in der Bekämpfung des Coronavirus bezeichnet. Die Hoffnung ist gross, dass damit eine weitere Notlage und ein Lockdown verhindert werden kann, sofern bei diesem Projekt über 60 Prozent der Bevölkerung mitmachen.
Update, 30. Mai 2020
Nach acht Tagen ist die Gesamtzahl der Covid-19-Fälle in Kitakyushu auf 85 angestiegen.
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