Die neue Trinkkultur in der Covid-19-Krise
In Japan gehört der Alkoholkonsum zum guten Ton. Speziell das Feierabendbier und -essen mit Kollegen und Vorgesetzten ist ein Ritual, das fest in die Arbeitswelt eingebettet ist. Im beschwipsten Zustand fällt die Konversation bekanntlich leichter. Es ist zugleich das Schmiermittel für den Aufbau guter Beziehungen.
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Diese Trinkkultur beginnt im Studentenalter und setzt sich durch das gesamte Arbeitsleben fort. In sogenannten Nomikai, den feuchtfröhlichen Anlässen, wird nur zu gerne einen über den Durst getrunken. Unter der Woche sind die Restaurants in den Städten entsprechend stark ausgelastet.
Nomikai geht online
Doch seit der Covid-19-Krise, dem landesweiten Notstand und der «Stay Home»-Aufforderung ist diese Tradition nun arg ins Wanken geraten. Das Social Distancing verunmöglicht oder erschwert zumindest die Organisation solcher Abende. Noch vor der Golden Week empfahl das Gesundheitsministerium ganz offiziell, ein Nomikai doch bitte online abzuhalten (Asienspiegel berichtete). Man scheint sich überraschend schnell angepasst zu haben. Auch im Inselstaat setzt man inzwischen auf Dienste wie ZOOM, LINE oder FaceTime, um das gemeinsame Trinken fortzusetzen.
Ein Gewinner dieser Krise ist derweil der Videochat-Service Tacnom, das «Takunomu» ausgesprochen wird und «zu Hause trinken» bedeutet. Weder ein Benutzerkonto, eine App noch ein Download ist nötig für den Gebrauch. Für eine Teilnahme an einem Tacnom-Videochat reicht ein Browser aus. Einladen kann man die Gäste ganz einfach via URL-Link. Bis zu 12 Personen können gleichzeitig an einer Feier teilnehmen.
Am 28. März wurde die Website lanciert. Nach einem Monat hatten bereits 1,1 Millionen Menschen Takunomu benutzt. 400’000 Nomikai wurden dabei gezählt. Der Dienst ist kostenlos. In der nahen Zukunft werden jedoch Gruppen ab sieben Personen eine Gebühr bezahlen müssen.
Die berüchtigte Anschlussfeier
Tacnom bietet einen weiteren Vorteil. So muss man beim Aufschalten eines Chats zuallererst die Dauer der Trinkanlasses festlegen. Dies soll theoretisch verhindern helfen, dass zu viel getrunken wird. Eine derartige Bremse existiert in der realen Welt nicht. Denn in Japan wird nur zu gerne auch die Kultur des Nijikai gepflegt. Damit ist die «Anschlussfeier» gemeint, wenn man nach dem obligaten Trinken mit den Kollegen weiterzieht. Sich diesem Gruppendruck zu entziehen ist fast unmöglich.
Für nicht wenige finden solche Nächte kein angenehmes Ende. Salarymen, die betrunken auf der Strasse oder in der Bahn eingeschlafen sind, gehören zum abendlichen Bild der japanischen Grossstädte (Asienspiegel berichtete). Derweil ist beim Online-Nomikai das rettende Bett ganz nahe.
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