Warten auf den Shinkansen
Japan setzte als erstes Land dieser Welt die Vision eines Hochgeschwindigkeitszuges um. Pünktlich vor den Olympischen Sommerspielen 1964 wurde die erste Shinkansen-Strecke zwischen den Metropolen Tokio und Osaka eröffnet. Anstatt 6 Stunden 30 Minuten dauerte die Fahrt nur noch 4 Stunden, später 3 Stunden und heute etwas weniger als 2 Stunden 30 Minuten (Asienspiegel berichtete).
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Die Tokaido-Strecke war der Startschuss. Heute umfasst das Shinkansen-Netz knapp 2800 Streckenkilometer. Es führt hoch in den Norden, tief in den Süden, über die Japanischen Alpen und zum Japanischen Meer. In den nächsten Jahren folgen Erweiterungen nach Tsuruga in der Präfektur Fukui (Asienspiegel berichtete), nach Nagasaki auf der Südinsel Kyushu (Asienspiegel berichtete) und nach Sapporo (Asienspiegel berichtete). Der Höhepunkt wird die Eröffnung der futuristischen Magnetschwebebahn zwischen Tokio und Nagoya werden (Asienspiegel berichtete).
Der San’in-Shinkansen
Trotz dieses kontinuierlichen Ausbaus ist Japan nach wie vor weit entfernt von seiner Vision der Erschliessung der gesamten Insel mit Hochgeschwindigkeitsstrecken. Beim Betrachten der Shinkansen-Karte fallen drei grosse Leerflächen auf. Die langgezogene San’in-Region, die die Seite des Japanischen Meeres im Südwesten der grössten Hauptinsel Honshu umfasst, wartet seit 50 Jahren vergeblich auf die bahntechnische Revolution, obwohl im Masterplan von 1973 eine Strecke von Osaka über Tottori und Matsue bis nach Shimonoseki vorgesehen war (siehe Karte unten). 550 Kilometer lang und umgerechnet 30 Milliarden Euro teuer sollte der San’in-Shinkansen werden. Trotz wiederholter Anläufe scheiterte das Projekt an den Kosten. Günstigere Alternativen werden alle paar Jahre wieder besprochen. Letztendlich fehlt es der Region und ihren Städten an wirtschaftspolitischer Bedeutung. Ähnlich ergeht es dem Osten der Südinsel Kyushu, der ebenfalls unerschlossen bleibt.
Der Shikoku-Shinkansen
Das grösste Versäumnis stellt Shikoku dar. Sie ist mittlerweile die einzige japanische Hauptinsel, die nicht ans Shinkansen-Netz angeschlossen ist. Dabei hat man ebenfalls seit fast 50 Jahren grosse Pläne. Gleich zwei Shikoku-Shinkansen-Strecken sollten hier entstehen, die eine von Osaka über Tokushima, Takamatsu und Matsuyama bis nach Oita auf der Südinsel Kyushu und die andere von Okayama über Takamatsu bis nach Kochi im Süden von Shikoku (siehe Karte unten). Realisiert wurde keine dieser Linien. Stets waren die Kosten und die technischen Herausforderungen im Weg. Nur schon der Bau von einem oder sogar mehreren Unterwassertunneln stellt eine hohe Hürde dar. Eine lebendige Erinnerung an das bislang gescheiterte Projekt eines Shikoku-Shinkansen ist übrigens die 1985 eröffnete Onaruto-Brücke. Die untere Ebene dieses zweistöckigen Bauwerks war ursprünglich für den Hochgeschwindigkeitszug vorgesehen. Benutzt wurde sie nie. Stattdessen hat man dort eine Aussichtsplattform für die Besichtigung der Naruto-Meeresstrudel eingerichtet.
Aufgegeben hat man trotzdem nicht. Die Befürworter versprechen sich von einem direkten Anschluss an die Metropolregion Osaka einen Schub für die Wirtschaft und den Tourismus. Es wäre zudem ein Mittel, um die Landflucht zu stoppen. Zudem wäre der Shikoku-Shinkansen – ähnlich wie die im Bau befindliche Magnetschwebebahn zwischen Tokio und Nagoya – ein wichtiges Backup für die Sanyo-Strecke zwischen Osaka und Fukuoka. Eine solche Strecke wäre im Falle einer Naturkatastrophe eine zusätzliche Absicherung der wichtigen Verkehrswege in den Süden. Letztendlich ist der Bau einer Shinkansen-Strecke stets eine Frage des politischen Willens.
Der nachgebaute Shinkansen
In Shikoku nimmt man die Vernachlässigung inzwischen mit Humor. So fährt auf der ländlichen Yodo-Line ein Lokalzug, der zumindest das Aussehen eines Shinkansen hat, mit der typisch blau-weissen Farbe und der berühmten Nase der allerersten Baureihe 0. Die Innenausstattung dieser Ein-Wagen-Komposition ist ganz in blau gehalten und mit zwei langen Sitzreihen ausgestattet. Ausserdem sind vier Sitze installiert, die tatsächlich einmal in einem Wagen der Baureihe 0 verwendet wurden (Asienspiegel berichtete).
Das Shinkansen-Netz
- Rot: Nie realisierte Strecken.
- Schwarz: Das aktuelle Netz.
- Blau: Im Bau befindliche Abschnitte (darunter die Magnetschwebebahn)
- Grün: In Planung.
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