Das ferne Reiseland Japan
Als 1964 die Olympischen Spiele in Tokio stattfanden, hatte sich Japan soeben von den schwierigen Nachkriegsjahren erholt. Damals konnte sich kaum jemand eine Reise ins Ausland leisten. Gerade mal 127’749 Japaner flogen in jenem Jahr nach Übersee. Die Phase des wirtschaftlichen Hochwachstums änderte dies schlagartig. 1972 reisten zum ersten Mal mehr als 1 Million Japaner ins Ausland. Jahr für Jahr stieg diese Zahl an. Der japanischen Regierung passte dies perfekt ins Konzept. Die Auslandsreisen der Japaner halfen den stetig wachsenden Handelsüberschuss, der im Westen als Bedrohung wahrgenommen wurde und zu einem «Japan-Bashing» führte, etwas zu verringern und somit die Beziehungen zu verbessern.
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In diesem Zusammenhang setzte sich das Verkehrsministerium 1986 zum Ziel, bis 1991 zehn Millionen Auslandsreisen zu erreichen. Tenmirion Keikaku, «der 10-Millionen-Plan», nannte sich dieses Projekt. Bereits 1990 wurde diese Schwelle überschritten. 1996 war die Reisebilanz mit 3,6 Billionen Yen im Minus (heute umgerechnet 32,8 Milliarden US-Dollar). Somit gaben die japanischen Touristen zuverlässig mehr Geld im Ausland aus als die ausländischen Touristen in Japan. Im Jahr 2000 reisten jährlich 17,8 Millionen Japaner nach Übersee. Es war der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Demgegenüber standen gerade mal 4,7 Millionen Ausländer, die das ferne Japan besuchten.
Eine neue Ausgangslage
Mit der wirtschaftlichen Stagnation änderte sich die Situation grundlegend. Japan suchte nach neuen Einnahmequellen. 2003 erklärte der damalige Premierminister Junichiro Koizumi den Einreise-Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftszweig. Bis 2010 wollte Japan über 10 Millionen ausländische Besucher willkommen heissen. Es war eine komplette Umkehr der Strategie von 1986. 2013 wurde dieses Ziel schliesslich erreicht. Zwei Jahre später kam es zu einer historischen Wende. Zum ersten Mal seit 1970 reisten mehr Ausländer nach Japan als Japaner ins Ausland. Japan wies plötzlich einen Überschuss von 1,12 Billionen Yen (8,4 Milliarden Euro) in der Reisebilanz auf. Auf einmal gaben die ausländischen Touristen in Japan mehr Geld aus als die japanischen Reisenden in Übersee.
Der Tourismus wurde endgültig zu einer lukrativen Einnahmequelle, der Inselstaat zum Urlaubsland. In den Folgejahren nahm der Überschuss weiter zu. 2019 wurde mit einem Plus von 2,457 Billionen Yen (18,6 Milliarden Euro) in der Reisebilanz ein neuer Rekord verzeichnet. Damals reisten 31,8 Millionen Ausländer nach Japan. Zugleich überschritt die Zahl der Auslandsreisen der Japaner erstmals die Schwelle von 20 Millionen. Es waren in jeder Hinsicht gute Zeiten für eine ganze Branche.
Der Stillstand seit 2020
Die Corona-Krise hat diese Entwicklung zum Stillstand gebracht. Im vergangenen Jahr sank Japans Überschuss um 89,2 Prozent auf 264,5 Milliarden Yen (2 Milliarden Euro). Seit April 2020 hat diese Reisebilanz faktisch keine grosse Bedeutung mehr. Touristische Einreisen sind seither nicht mehr möglich.
Die Hoffnung, dass sich daran etwas ändert, ist momentan klein. Die Grenzen nach Japan bleiben für Touristen geschlossen (Asienspiegel berichtete). Auch die Olympischen Spiele finden ohne internationales Publikum statt (Asienspiegel berichtete). Der Inselstaat steckt mitten in einer vierten Corona-Welle (Asienspiegel berichtete). Ausserdem wurden diese Woche die Regeln für Südasien zusätzlich verschärft. Neu dürfen aus den drei Ländern Indien, Nepal und Pakistan einzig noch japanische Staatsangehörige einreisen und dies unter strengen Auflagen. 2021 ist Japan wieder ein fernes Reiseland, sozusagen zurück im Jahr 1964, als bescheidene 350’000 internationale Gäste gezählt wurden.
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