Japans «Women Only»-Wagen
Sexuelle Belästigungen in den überfüllten Zügen sind seit Jahrzehnten ein gesellschaftliches Problem in Japan. Chikan nennt sich auf Japanisch dieses Phänomen der Grapscher und Triebtäter. Als Antwort darauf, begannen vor zwanzig Jahren erste Bahnbetreiber während der Hauptverkehrszeiten «Women Only»-Wagen einzuführen, sogenannte Joseisenyō-sharyō. Ab dem Jahr 2005 wurden die «Women Only»-Wagen zu einem Standard in den urbanen Regionen.
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Mit diesen Spezialabteilen hat sich das Problem der Belästigungen nicht in Luft aufgelöst. 2018 kam es zu 266 Verhaftungen wegen einer sexuellen Belästigung in einem Bahnwagen. Und noch kommen zu viele ungestraft davon. Denn 9 von 10 betroffenen Frauen erstatten gar nie Anzeige (Asienspiegel berichtete).
Eine wichtige Massnahme
Ohne Wirkung ist der «Women Only»-Wagen nicht geblieben. Die Einführung dieser Massnahme hat zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein für dieses Problem geführt. Zusätzlich zu den Spezialabteilen wurden Sicherheitsleute eingestellt und Kameras installiert. Auf Warnplakat in den Bahnhöfen werden die Passagiere aufgefordert, Vergehen beim Bahnpersonal umgehend zu melden. Das Problem des Chikan wird nicht mehr verschwiegen. Den Grabschern droht eine Geldstrafe von 500’000 Yen oder bis zu 10 Jahren Gefängnis.
Der «Women Only»-Wagen ist heute ein Standard unter den städtischen Bahnbetreibern. Doch frei von Kontroverse ist er nicht geblieben. Die Angst vor einer falschen Anschuldigung bereitet vielen Männern derart Sorge, dass sie während der Fahrt demonstrativ beide Hände im Zug am Halteriemen festhalten (Asienspiegel berichtete). Um diesem Problem zu entgehen, wird regelmässig die Forderung laut, gleich alle Wagen während den morgendlichen Stosszeiten nach Geschlechtern zu trennen (Asienspiegel berichtete).
Der Begriff «Women Only»
Neu stellt sich auch die Frage, ob der Begriff «Women Only» überhaupt noch zeitgemäss ist? Denn eigentlich stehen diese Wagen allen Personen offen, die ein Bedürfnis nach mehr Sicherheit haben, wie Kinder, Menschen mit einer körperlicher Behinderung oder sexuelle Minderheiten. Tōkyū Railways betont in diesem Zusammenhang, dass die «Women Only»-Wagen auch von diesen Personen genutzt werden dürfen und sollen. Gewisse Betreiber haben entsprechende Anmerkungen hinzugefügt (siehe Foto). Bei JR East ist es derweil komplizierter. Dort werden Männer, die im «Women Only»-Wagen Platz nehmen, vom Personal aufgefordert, das Abteil zu wechseln. Dies kann dazu führen, dass sich Transgender-Personen aktiv erklären müssen, um die Fahrt im Wagen fortsetzen zu dürfen.
Ein Vertreter eines grossen Bahnbetreibers geht im Gespräch mit der Sankei Shimbun davon aus, dass sich die Bahnwelt dem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein, gerade hinsichtlich der Fortschritte für die Gleichberechtigung der LGBTQ-Gemeinde (Asienspiegel berichtete), anpassen wird. Und so könnte der Begriff «Women Only» dereinst durch eine allgemeinere Bezeichnung ersetzt werden.
Im Wandel der Zeit
Für die Bahnbetreiber wäre es nichts Neues. So nannte man die Vorzugssitze für die älteren Personen ab 1973 «Silver Seat» (jp. shirubāshīto). Da der Nutzerkreis mit den Jahren auf Schwangere, Personen mit Kindern und Menschen mit Behinderungen erweitert wurde, wechselte JR East ab 1997 auf den Begriff Priority Seat (jp. yūsenseki / seltener: senyōseki). Und selbst die Bezeichnung «Women Only» war nicht immer der Standard. Schon 1947 hatte die Tokioter Chūō-Linie einen Wagen im Einsatz, der sich Fujinkodomosenyōsha, «Wagen für Kinder und Damen» nannte. Man wollte diese Personen damit ganz allgemein vor der Gefahr der übervollen morgendlichen Pendlerzüge retten.
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