Der sagenumwobene Wohnsitz des Premiers
Blickt man auf eine Stadtkarte von Tokio, fällt einem die riesige grüne Anlage im Herzen der japanischen Hauptstadt auf. Einst befand sich dort der Sitz der Tokugawa-Dynastie, die in der Edo-Zeit (1603 bis 1868) über Japan herrschte. Nach deren Entmachtung wurde die Anlage zum Sitz der kaiserlichen Residenzen (Asienspiegel berichtete). Das wahre Machtzentrum befindet sich heute unmittelbar im Süden der kaiserlichen Anlage.
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Im Stadtteil Kasumigaseki sind die einflussreichen Ministerien zuhause. Gleich daneben, im Stadtteil Nagatchō, findet man das nationale Parlamentsgebäude mit dem unverkennbaren Mittelturm, der bei seiner Eröffnung 1936 das höchste Bauwerk in Tokio war. Nur wenige Meter südwestlich ist der Sitz der Regierung, Kantei auf Japanisch genannt. Es ist ein gläsernes Gebäude, das 2002 fertiggestellt wurde. Eine Spezialeinheit der Polizei sichert diesen Ort rund um die Uhr. Auf dem Dach befindet sich zudem ein Hubschrauberlandeplatz.
Der unbenutzte Wohnsitz des Premiers

Dieses Areal der Exekutive besitzt ein historisches Backsteingebäude, das im Jahr 1929 erbaut wurde. Das Haus fällt durch seine Architektur auf, die dem Stil des früheren Imperial Hotel des Architekten Frank Lloyd Wright ähnelt (Asienspiegel berichtete). Es handelt sich um den einstigen Amtssitz der Regierung, das heute dem Premierminister als offizieller Wohnsitz zur Verfügung steht (jp. kōtei).
Eine Besonderheit ist, dass das Gebäude in den letzten Jahren kaum genutzt wurde. Yoshihiko Noda (2011 bis 2012) war der letzte Premierminister, der hier wohnte. Regierungschef Shinzo Abe (2012 bis 2020) wie auch sein Nachfolger Yoshihide Suga (2020 bis 2021) verzichteten gänzlich auf einen Umzug in dieses Haus. Beide haben diesen Entscheid nie konkret begründet. Man geht jedoch davon aus, dass es an der belasteten Geschichte dieses Ortes liegt. 1932 und 1936 kam es dort zu zwei blutigen Putschversuchen. Und so kam der Aberglaube auf, dass die Geister der Toten in diesen Räumlichkeiten ihr Unwesen treiben würden.
Kishida zieht ein

Für die Steuerzahler und die Opposition ist dies ein Ärgernis. Immerhin kostet der Unterhalt dieses historischen Bauwerks jedes Jahr 160 Millionen Yen. Zusätzlich muss der private Wohnsitz des Regierungschefs aufwendig gesichert werden. Der offizielle Wohnsitz wäre zudem ein Garant dafür, dass die Spitze der Regierung bei Notfällen sofort anwesend und handlungsfähig wäre.
Der aktuelle Premierminister Fumio Kishida scheint dies ebenfalls so zu sehen. Er hat entschieden, in dieses historische Anwesen zu ziehen, als erster japanischer Premier seit neun Jahren. Er tue dies, um sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren zu können, wie er sagt. Für die Gerüchte hat er nur ein müdes Lächeln übrig. Er habe gut geschlafen und bislang auch keine Geister gesehen, liess er die japanischen Medien nach seiner ersten Nacht im Wohnsitz wissen.
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