Vor 50 Jahren: Die Rückgabe Okinawas

Wer in Japan Okinawa hört, der denkt an Sonne, Strand, Meer und traditionelle Volkstänze begleitet von den Klängen des Saiteninstruments Sanshin (三線). Die Inselgruppe ist ein Ort, nach dem sich viele Japaner der Hauptinseln sehnen (akogareru 憧れる).
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Umgekehrt ist die Beziehung der Bevölkerung Okinawas (okinawakenmin 沖縄県民) zum Mutterland von Misstrauen geprägt. Die Geschichte (rekishi 歴史) hat ihre Spuren hinterlassen. Während Jahrhunderten war Okinawa das unabhängige Ryūkyū-Königreich (ryūkyū ōkoku 琉球王国), das im 15. und 16. Jahrhundert dank regen Handels (bōeki 貿易) mit den benachbarten Ländern (shūhen shokoku 周辺諸国) eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit erlebte. Mit Beginn der Meiji-Restauration (meiji ishin 明治維新) wurde das Königreich abgeschafft (haisu 廃す). Okinawa wurde zu einer Provinz und später zu einer Präfektur des japanischen Kaiserreichs (dainippon teikoku 大日本帝国).
Im Zweiten Weltkrieg (dainiji sekai taisen 第二次世界大戦), in Japan auch der Pazifische Krieg (taiheiyō sensō 太平洋戦争) genannt, wurde Okinawa zu einem der grössten Kriegsschauplätze auf japanischem Territorium. Am 26. März 1945 landeten (jōriku 上陸) die US-Streitkräfte (amerikagun アメリカ軍) auf den Kerama-Inseln (keramashotō 慶良間諸島) vor der Hauptinsel Okinawa (okinawa hontō 沖縄本島). Bei der Schlacht von Okinawa (okinawasen 沖縄戦) starben (naku naru 亡くなる) mehr als 200’000 Menschen. Als Japan 1952 dank des Friedensvertrags von San Francisco (sanfuranshisuko kōwajōyaku サンフランシスコ講和条約) seine Souveränität zurückerlangte (shuken kaifuku 主権回復) und die Besatzung (senryō 占領) durch die USA damit formell endete, blieb Okinawa weitere 20 Jahre unter der direkten Kontrolle der USA (amerika tōchika アメリカ統治下).
Die Rückgabe und die Folgen
Erst am 15. Mai 1972 wurden die Ryūkyū-Inseln an Japan zurückgegeben (henkan 返還). Exakt 50 Jahre sind seither vergangen. Hondo fukki gojusshūnen (本土復帰50周年) nennt sich dieses Jubiläum auf Japanisch. So sprechen die Menschen in Okinawa von hondo (本土), dem «Hauptland», wenn sie die vier Hauptinseln meinen. Derweil sind die US-Militärbasen (beigun kichi 米軍基地) in Okinawa geblieben. Die Grundlage dazu bildet der japanisch-amerikanische Sicherheitsvertrag (anzenhoshōjōyaku 安全保障条約).
Heute sind rund 30’000 US-Soldaten (gunjin 軍人) und militärisches Personal (gunzoku 軍属) in insgesamt 31 militärischen Einrichtungen (gunsenyō shisetsu 軍専用施設) in Okinawa stationiert. Obwohl die Inselpräfektur nur 0,6 Prozent der Landfläche Japans (kokudo menseki 国土面積) einnimmt, konzentrieren sich hier 70,6 Prozent aller japanischen US-Stützpunkte. Strategisch (senryakuteki 戦略的) zu gut ist die Inselgruppe gelegen (ichi 位置), dank kurzer Distanzen (kyori 距離) zu China, Taiwan, Korea wie auch zur südostasiatischen Region (tōnan ajia 東南アジア).
Das belastete Verhältnis
Einerseits hat diese massive US-Präsenz der Region Milliarden von Dollars und viele Jobs eingebracht. Denn neben dem Tourismus (kankō 観光) besitzt Okinawa keine andere bedeutende Industrie (sangyō 産業). Andererseits belastet die unmittelbare Nähe (kinsetsu 近接) der Stützpunkte zu den Wohngebieten (jūtakuchi 住宅地) die Beziehungen. Sexuelle Übergriffe (seiteki bōkō 性的暴行), kriminelle Vorfälle (jiken 事件) und Unfälle (jiko 事故) durch US-Soldaten (beihei 米兵) haben die Beziehungen schwer belastet (Asienspiegel berichtete).
Ein ewiger Streitpunkt ist das Problem (mondai 問題) der geplanten Verlegung (isetsu 移設) des lärmintensiven US-Militärflughafens Futenma (futenma hikōjō 普天間飛行場) nach Henoko (辺野古) in der Stadt Nago (名護市) im Norden von Okinawa. Die Präfekturregierung fordert hingegen, dass der US-Stützpunkt in eine andere japanische Präfektur (kengai e 県外へ) oder nach Guam verlegt und die Abkommen mit den USA überprüft und angepasst werden (minaosu 見直す).
Bürger zweiter Klasse
Die Zentralregierung in Tokio versucht jeweils, mit grosszügigen Subventionen (kōfukin 交付金) zur Förderung der Wirtschaft (keizai shinkō 経済振興) die Wogen zu glätten. Doch der Preis, den die Inselgruppe bezahlen muss, ist hoch. Entsprechend stark fühlen sich die Bewohner Okinawas auch 50 Jahre nach der Rückgabe als Bürger zweiter Klasse, deren Anliegen von Tokio nie richtig ernst genommen werden.
Das Vokabular in der Übersicht
- 三線 | Sanshin (dreisaitiges Zupfinstrument)
- 憧れる | sich sehnen nach
- 沖縄県民 | die Bürger der Präfektur Okinawa
- 歴史 | die Geschichte
- 琉球王国 | das Königreich Ryūkyū
- 貿易 | der Handel
- 周辺諸国 | die benachbarten Länder
- 明治維新 | die Meiji-Restauration
- 廃す | etw. abschaffen
- 第二次世界大戦 | der Zweite Weltkrieg
- 太平洋戦争 | der Pazifische Krieg
- 上陸 | landen, an Land gehen
- アメリカ軍 | die US-Armee
- 慶良間諸島 | die Kerama-Inselgruppe
- 沖縄本島 | die Hauptinsel Okinawa
- 沖縄戦 | die Schlacht um Okinawa
- 亡くなる | sterben
- サンフランシスコ講和条約 | der Friedensvertrag von San Francisco (1951 unterzeichnet, 1952 in Kraft getreten)
- 主権回復 | die Wiederherstellung der Souveränität
- 占領 | die Besatzung
- 統治下 | unter der Herrschaft von
- 返還 | die Rückgabe
- 復帰 | die Rückkehr, die Wiedereingliederung (Okinawas)
- 周年 | der Jahrestag, das ganze Jahr
- 本土 | das Hauptland (insbesondere die vier Hauptinseln Japans)
- 米軍基地 | die US-Militärbasis
- 戦略的 | strategisch
- 地理的 | geografisch
- 位置 | der Standort, die Lage, die Position
- 距離 | die Distanz
- 東南アジア | Südostasien
- 安全保障条約 | der Sicherheitsvertrag (Japan-USA)
- 軍人 | Soldat
- 軍属 | Zivilangestellter beim Militär
- 軍専用施設 | die militärische Einrichtung
- 国土面積 | die Fläche eines Landes
- 観光 | der Tourismus
- 産業 | die Industrie, das Gewerbe
- 近接 | angrenzen, in unmittelbarer Nähe
- 住宅地 | das Wohngebiet
- 性的暴行 | der sexuelle Übergriff
- 事件 | der Vorfall, die Angelegenheit
- 事故 | der Unfall
- 米兵 | der US-Soldat
- 問題 | das Problem
- 移設 | die Verlegung (Bsp. einer militärischen Einrichtung)
- 飛行場 | der Flugplatz
- 県外 | ausserhalb der Präfektur
- 見直す | nochmals überprüfen, revidieren, verbessern
- 交付金 | die Subvention
- 経済振興 | die Förderung der Wirtschaft
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