Tokios Eisenbahn vor 150 Jahren

1868 begann in Japan die Meiji-Ära und mit ihr die rasante Industrialisierung und Modernisierung des Landes. Zu den Anfangsjahren dieser Epoche gehörte der Bau der ersten Eisenbahnstrecke des Landes, die mithilfe britischer Ingenieure geplant und am 14. Oktober 1872 eröffnet wurde. Diese erste Eisenbahn Ostasiens führte vom Bahnhof Shimbashi in Tokio bis zur Hafenstadt Yokohama. Die Fahrzeit auf dieser 29 Kilometer langen Strecke dauerte 53 Minuten. Neun Verbindungen wurden pro Tag angeboten. Es war die Geburt eines neuen Zeitalters.
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Das Finanzministerium zelebriert den Beginn des japanischen Eisenbahnzeitalters vor 150 Jahren mit einer Gedenkmünze in Silber. 70’000 Stück werden geprägt. Diese Münze mit einem Nominalwert von 1000 Yen wird ab Oktober 2022 für 12’300 Yen das Stück verkauft und im Februar 2023 ausgeliefert.
Ein historischer Bahndamm

Die beiden Motive auf dieser Gedenkmünze erlauben einen lebendigen Einblick in jene Pionierzeit. Auf der Rückseite ist das erste Bahnhofsgebäude von Shimbashi abgebildet. Derweil ist auf der Vorderseite eine farbige Abbildung zweier fahrender Züge auf einem s-förmigen Bahndamm zu sehen. Es handelt sich um einen Ausschnitt eines Farbholzschnittes des Ukiyoe-Künstlers Yoshitoshi Tsukioka (1839 – 1892), das den Titel Eine Illustration der Eisenbahn bei Takanawa trägt und heute zur Sammlung des Museum of Logistics in Tokio gehört.
Auf dem Kunstwerk ist gut ersichtlich, dass das heute aufgeschüttete Land bei Takanawa damals noch nicht existent war (siehe Karte unten). Eigentlich sollte der dortige Gleisabschnitt an der Küste gebaut werden, doch das Kriegsministerium wehrte sich dagegen, dieses wichtige strategische Land der Eisenbahn zu überlassen. Zudem verlief entlang der Küste die Tōkaidō, die historische Hauptstrasse, die Tokio mit Kyoto verband (Asienspiegel berichtete). Auf dem Farbholzschnitt in der Originalgrösse ist sie auf der rechten Seite dargestellt. Aus diesen Gründen beschloss die Regierung, wenige Meter vor der Küste einen Bahndamm zu errichten, der auf einer Länge von 2,7 Kilometern zwischen den heutigen Bahnhöfen Shinagawa und Tamachi verlief. Dass eine Bahnstrecke auf dem Meer gebaut wurde, war für die damalige Welt eine Pioniertat. Entsprechend kreativ war die Bauweise. Für die Steinmauern des Dammes wurde die traditionelle Bautechnik der Burgmauern und Meeresfestungen verwendet.
Der Farbholzschnitt von Tsukioka stammt aus dem Jahr 1871, also bevor die Eisenbahn offiziell in Betrieb genommen wurde. Die darauf abgebildeten Züge, Dampfschiffe und der Gondelverkehr mit ausländischen Gästen standen für das beginnende Zeitalter der Industrialisierung und der Öffnung des Landes. Dank einer Brücke hatten die Boote weiterhin einen Zugang zum Abschnitt zwischen dem Ufer und dem Damm. Zudem offenbart sich mit den Schattierungen auf den Kleidern, dem Grün des Ufers und den ordentlich aufgeschichteten Mauern der Einfluss der westlichen Malerei auf Tsukiokas Schaffen. Der Schriftzug «US MAUS UIUST» deutet darauf hin, dass dem Ukiyoe-Künstler eine Illustration aus einer ausländischen Zeitung als Vorlage für dieses Werk diente.
Die Ausgrabung des Bahndammes

150 Jahre später präsentiert sich an derselben Stelle ein völlig anderes Bild. Der Abschnitt vor der Küste wurde bereits um 1914 grossräumig aufgeschüttet (siehe Karte unten). Der darin begrabene Bahndamm war überflüssig geworden. An der Linienführung wurde jedoch festgehalten. Heute verkehren an fast derselben Stelle Regionalzüge und Shinkansen.
Neu zum Leben erweckt wurde diese Geschichte rund um die erste Bahnstrecke, als vor zwei Jahren in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Bahndammes der neue JR-Bahnhof Takanawa-Gateway eröffnet wurde. Die damit verbundene komplette Neugestaltung dieses Ortes, die noch nicht abgeschlossen ist (Asienspiegel berichtete), wurde zu einem Glücksfall für Historiker und Archäologen. So wurde dank der Bauarbeiten ein rund 770 Meter langer Abschnitt damaligen Bahndammes wiederentdeckt, dessen Steinmauern in einem tadellosen Zustand waren.
Inzwischen wird über die Frage gestritten, in welcher Form dieses wertvolle Überbleibsel der japanischen Bahngeschichte für die Nachwelt erhalten bleiben soll. JR East möchte offenbar lediglich zwei Abschnitte des früheren Dammes am ursprünglichen Ort bewahren (siehe Abbildung oben). Hingegen kämpft ICOMOS, die internationale NGO für Denkmalpflege, dafür, den gesamten Abschnitt an der originalen Stelle zu erhalten und weitere Ausgrabungen zu tätigen. Denn der Bahndamm, den man nur noch dank der Farbholzschnitte kannte, habe dank seiner historischen Bedeutung das Potenzial, als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. Die Chancen auf Erfolg sind jedoch minim. Denn die Bauarbeiten für das neue Hochhausquartier sind bereits in vollem Gange.


Der Standort des Bahnhofs Takanawa-Gateway
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