Eine kaiserliche Begegnung
REISENOTIZEN – In dieser Serie berichte ich von meiner Reise durch das herbstliche Japan – in chronologischer Reihenfolge.
Mit dem Bus fahre ich von Shirahama in die Berge von Kumano Kodo. Die anspruchsvolleren Pilger und Wanderer steigen meist in Takijiri-ōji aus, wo sich ein Informationszentrum befindet und der 40 Kilometer lange Weg zum Grossen Schrein von Kumano Hongu Taisha beginnt. Die Wanderung dauert in der Regel zwei Tage, gewöhnlich mit einer Übernachtung in Chikatsuyu, dem mit 450 Einwohnern grössten Dorf dieser Bergregion.
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Ich hingegen fahre noch ein Stück weiter bis zur Station Gyūba Dōji Guchi. Sie liegt mitten auf einer Passstrasse. In der dortigen, kleinen Raststätte kaufe ich mir eine Obento-Lunchbox und ein Getränk. Gleich gegenüber ist der Eingang zum Pilgerweg, ein erster Vorgeschmack auf die kommenden Tage.
Es ist ein gepflegter Naturpfad, gesäumt von unendlich vielen hohen Zedern, der über den Pass Hashori-Tōge bis ins Dorf Chikatsuyu führt.
Der Kaiser auf einem Rind und Pferd
Oben angekommen, wird man von zwei auffälligen Statuen empfangen. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich dabei nicht um einen sogenannten Ōji-Unterschrein, wie er in Kumano Kodo so zahlreich anzutreffen ist. Auf der linken Seite ist eine Statue aus der Meiji-Zeit (1868 bis 1912) zu sehen, die den jungen Kaiser Kazan auf seiner ersten Pilgerreise im Alter von 19 Jahren zeigt, auf einem Pferd und einem Rind reitend (jp. gyūba dōji).
Rechts sieht man die Steinskulptur von En no Gyōja, dem legendären Begründer des Shugendō, einer Mischreligion, die Elemente des Buddhismus, Shintoismus, Daoismus und Schamanismus vereint (Asienspiegel berichtete). Ihre Mönche, die Yamabushi, sind die Hüter dieser Religion. Sie waren einst die Führer, die die Pilger durch dieses unwegsame Gebiet begleiteten. Dahinter steht eine sogenannte Hōkyōintō-Steinpagode.
Die Statuen erinnern an die engen historischen Beziehungen zwischen dem Kaiserhaus und Kumano Kodo. Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert unternahmen die Tennō diese beschwerliche Reise oft mehrmals in ihrem Leben.
Die Legende
Auch die geographischen Bezeichnungen Hashiori und Chikatsuyu sind eng mit den kaiserlichen Pilgerreisen verbunden. So besagt eine Erzählung, dass Kaiser Kazan auf einer seiner Pilgerreisen zwei rötliche Kaya-Schilfgrashalme abbrach, um sie als Essstäbchen zu verwenden. Als Flüssigkeit auf einen der Halme tropfte, fragte er, ob es sich um Blut oder Tau (japanisch «kore wa chi ka tsuyu ka?») handle. Daraufhin soll der Pass Hashiori («gebogene Stäbchen») und das nahegelegene Dorf Chikatsuyu genannt worden sein, wobei sich die japanische Schreibweise über die Jahrhunderte mehrmals änderte.
Übrigens wurde 2008 der Kopf der 50 Zentimeter hohen Kaiserstatue abgebrochen. Danach musste eine originalgetreue Nachbildung von erfahrenen Handwerkern angefertigt und aufgesetzt werden. Die Geschichte nahm 2010 eine glückliche Wendung, als der Originalkopf auf einer Bank an einer nahe gelegenen Busstation wieder auftauchte.
Nach der Statue führt mich ein kurzer halbstündiger Fussmarsch in das Dorf Chikatsuyu, das mit einer modernen architektonischen Überraschung aufwartet. Mehr dazu im morgigen Artikel.
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