Der 100-jährige Wald mitten in Tokio
Die Gleise, die zum Tokioter Bahnhof Harajuku führen, bilden eine Grenze zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite ist das lebendige Viertel der Jugendkultur mit der Takeshita-Strasse im Zentrum. Auf der anderen Seite ist ein dichter Wald, in dessen Zentrum der Schrein Meiji-Jingu steht, der dem 1912 verstorbenen Kaiser Meiji und dessen Frau Shoken gewidmet ist (Asienspiegel berichtete).
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Die religiöse Stätte feierte 2020 ihren 100-jährigen Geburtstag. Der umgebende Wald, der sich auf einer Fläche von 70 Hektaren ausbreitet, ist eine Oase der Ruhe und dies mitten in der Millionenstadt Tokio. Spaziert man durch dieses grüne Paradies, könnte man meinen, es sei das letzte natürliche Überbleibsel der vormodernen Zeit. Es ist eine perfekte Illusion. Denn in Wahrheit handelt es sich um einen von Menschen erschaffenen Wald, um das wohl grösste städtische Bewaldungsprojekt des Landes, das gerade mal 100 Jahre jung ist.
Ein visionäres Projekt
1915 planten Dr. Seiroku Honda, Dr. Takanori Hongo und Keiji Uehara diesen Wald als angemessene Umgebung und grünen Schutzwall für den Schrein. Es war ein visionäres Projekt, das auf 150 Jahre angelegt war. Als man mit den Arbeiten begann, war dieser Ort hauptsächlich Gras- und Sumpfland, das im Besitz der kaiserlichen Familie war. 95’559 Bäume und Setzlinge aus dem ganzen Land wurden für die Aufforstung gespendet. 365 Sorten waren es insgesamt. 110’000 junge Freiwillige halfen damals beim Anpflanzen und beim Bau der Wege.
Man setzte sich zum Ziel, einen natürlichen, dichten Wald zu erschaffen, der dereinst ohne Eingriffe des Menschen gedeihen sollte. Hierzu legte man drei Grundregeln fest, die bis heute befolgt werden: Es dürfen keine Blätter und Äste entfernt werden, man darf nicht mitten durch den Wald gehen und nichts aus dem Wald mitnehmen. 100 Jahre später ist dessen Entwicklung viel weiter fortgeschritten als ursprünglich geplant. Heute findet man 270 Baumsorten vor. Es ist das Resultat einer natürlichen Auslese. Vögel und Insekten sind heimisch geworden. Tokio hat im Zentrum einen Wald mit einem funktionierenden Ökosystem erhalten. Als Heimat des Meiji-Schreins wird er als heilig angesehen.
Die ganze faszinierende Geschichte dieser urbanen Aufforstung kann man in diesem Artikel der NPO Japan for Sustainability lesen.
Ein Land der Monokultur-Wälder
Japan besitzt übrigens einen der grössten Waldbestände in der industrialisierten Welt. Davon wurden jedoch rund 40 Prozent aufgeforstet. Das Resultat ist selten so schön anzusehen wie im Meiji-Jingu-Wald. Denn in den meisten Fällen handelt es sich um Monokultur-Wälder ohne jegliche Biodiversität. Ausserdem wurde eine grosse Fläche wegen mangelnder Nachfrage in den vergangenen Jahrzehnten sich selbst überlassen. Doch auch in dieser Beziehung tut sich allmählich etwas. Die japanische Forstbehörde hat sich zum Ziel gesetzt, einen Drittel dieser Monokultur-Wälder in natürliche Wälder mit vielfältigen Baumarten und einem funktionierenden Ökosystem zurückzuverwandeln.
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