Covid-19: Die neue Realität in Japan
Die Coronavirus-Krise fordert zurzeit die ganze Welt heraus. Dieser Artikel ist ein Rückblick auf Ereignisse, die Japan in der Woche vom 6. bis 12. April 2020 beschäftigt haben.
1. Die neue Realität
Noch im März gab es für Japan von vielen Seiten vorsichtiges Lob. Eine relativ konsequente Eindämmung, die Schliessung von Schulen, Museen und Vergnügungsparks und vor allem eine ganz natürliche Distanz zum Gegenüber, zu der die Verneigung gehört, hätten wohl zu den wenigen Covid-19-Erkrankungen beigetragen. Zwar gab es schon damals Kritik an dieser Sichtweise, doch Mitte März glaubte viele im Inselstaat, dass Schlimmste sei vorbei (Asienspiegel berichtete). Eine Entspannung stellte sich ein. Die Kirschblüten trugen zur Zuversicht bei (Asienspiegel berichtete). Die Realität ist heute leider eine andere.
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In Japan ist die Zahl der Neuerkrankungen gestern Samstag um 700 Personen angestiegen. In Tokio allein waren es knapp 200. Fast täglich werden neue Höchstzahlen vermeldet. Im ganzen Land sind es über 7000 bestätigte Covid-19-Fälle (Stand: 12. April 2020). Inzwischen wurden mit Ausnahme von Iwate in allen Präfekturen des Landes Ansteckungsfälle bestätigt. Die Lage ist unübersichtlich geworden. Die Dunkelziffer muss bei lediglich 70’000 getesteten Personen seit Februar hoch sein. Deutschland führt zum Vergleich wöchentlich 350’000 Tests durch. Die Regierung hat nach langem Zögern diese Woche für die 7 Präfekturen Tokyo-Chiba-Kanagawa-Saitama, Osaka-Hyogo und Fukuoka den Notstand ausgerufen (Asienspiegel berichtete). Andere Präfekturen zogen gleich in Eigenregie nach, weil sie nicht mehr auf das OK von Tokio warten wollten (Asienspiegel berichtete).
Diese rasante Entwicklung hat vor Augen geführt, dass eine Verneigung als Schutz nicht ausreicht, wenn es genauso zur japanischen Kultur gehört, täglich in dicht gedrängten Zügen zu pendeln, in engen Büros zu arbeiten und mit den Arbeitskollegen abends trinken zu gehen – und dies nicht selten in kleinen unzureichend gelüfteten Restaurants, wie es so viele in Tokio und anderen Städten gibt. Das Nachtleben, das noch bis vor kurzem ungestört weiterlief, hatte in den urbanen Gebieten viele neue Ansteckungsfälle zur Folge, die man nicht mehr zurückverfolgen kann. Aus diesem Grund hat die Regierung gestern die Bevölkerung gebeten, das Nachtleben im ganzen Land einzustellen und das Arbeitsleben auf Homeoffice umzustellen. Die Zahl der Kontakte müssen bis um 80 Prozent reduziert werden. Nur so gäbe es Hoffnung den Notstand über den 6. Mai 2020 hinaus nicht verlängern zu müssen.
2. Der neue Lockdown
Die Millionenstadt Tokio hat nach der Notstandserklärung die Regeln verschärft. Restaurants müssen neu jeweils bis spätestens 20 Uhr schliessen. Alkohol darf nur noch bis 19 Uhr ausgeschenkt werden. Universitäten, Kinos, Theater, Musikklubs, Nachtklubs, Pachinko-Hallen und Internet-Cafés müssen komplett schliessen für die Zeit des Notstandes. Museen und Vergnügungspärke, wie zum Beispiel Tokyo Disneyland, haben schon seit März ihren Betrieb eingestellt. Kleine Geschäfte, die der Aufforderung zur Schliessung nachkommen, werden von der Metropolregierung mit bis zu 1 Million Yen entschädigt. Supermärkte, Minimärkte, Banken, Hotels und andere für den Alltag essenzielle Geschäfte dürfen derweil offen haben, müssen jedoch Massnahmen zum Schutz der Angestellten und Kunden ergreifen.
So haben die Minimärkte beispielsweise begonnen, an den Kassen durchsichtige Plastikvorhänge zu installieren. Beim Anstehen werden die Kunden mit Markierungen gebeten, Abstand zu halten. Auch die Nachbarpräfekturen Kanagawa und Saitama tun es Tokio gleich. Osaka wird voraussichtlich am Montag ähnliche Massnahme einleiten. Von Yahoo Japan ausgewertete Smartphone-Bewegungsdaten zeigen derweil, dass der Notstand jetzt schon Auswirkungen auf den Alltag hat. Ginza verzeichnet am Abend des 8. Aprils 70 Prozent weniger Passanten. In Akasaka und Roppongi waren es 55 Prozent, in Umeda in Osaka 67 Prozent. Auch die Bahnen in Tokio haben am vergangenen Mittwoch einen Fahrgastrückgang von bis zu 60 Prozent vermeldet. Ein Blick auf die Live-Camera des Scramble Crossing in Shibuya bestätigt diese Statistik. Es ist ruhig geworden in Tokio.
3. Das Wirtschaftspaket
Japan hat diese Woche ein Wirtschaftspaket in der Höhe von 108 Billionen Yen geschnürt, um die Familien und Unternehmen zu unterstützen, die wegen der aktuellen Krise in Not geraten sind. Familien, deren Einkommen eingebrochen ist, erhalten beispielsweise 300’000 Yen in bar. Ausserdem wird die Kinderzulage um 10’000 Yen erhöht. Kleineren und mittleren Unternehmen werden 2 Millionen Yen (rund 17’000 Euro) zur Verfügung gestellt. Selbständige sollen 1 Million Yen erhalten. Für Firmen in Not werden zudem zinslose Darlehen gesprochen, die nach drei Jahren zurückbezahlt werden müssen. Für viele Kleinunternehmen wird dies nicht ausreichen. Nicht alle werden diese Krise überstehen.
Goldman Sachs rechnet, dass die japanische Wirtschaftsleistung in diesem Quartal um 25 Prozent schrumpfen wird. Die Exporte könnten sogar um bis zu 60 Prozent zurückgehen. Ein unmittelbares Beispiel für diese dramatische Entwicklung ist der Tokioter Taxi-Betreiber Royal Limousine. Er hat diese Woche angekündigt, seine 600 Fahrer zu entlassen. Auch die Tourismus- und Luftfahrtbranche sind zu einem Stillstand gekommen. Der Internationale Flughafen Narita bei Tokio hat eine von zwei Start- und Landebahnen ausser Betrieb genommen. Der internationale Flugverkehr ist in Narita um 85% zurückgegangen.
4. Schulen ohne Austauschstudenten
Diese Woche hätte landesweit das Schuljahr begonnen. Doch nun herrscht ein Flickenteppich vor. In vielen Präfekturen, insbesondere in den Notstandsgebieten, hat man den Start für die öffentlichen Schulen um einige Wochen verschoben. Andere wiederum ziehen den Schulplan gewöhnlich durch. In einer Highschool in Ibaraki hatte dies zur Folge, dass einige Studenten aus Angst vor dem Virus in den Streik getreten sind. Auch auf Universitätsebene hat die Krise Auswirkungen. Die neuen Studenten werden gewöhnlich in einer offiziellen Zeremonie begrüsst. Durch die Covid-19-Krise ist dies aber vielerorts nicht mehr möglich. Die renommierte Universität Tokio hat den Anlass, der für den morgigen 12. April geplant war, abgesagt. Zuletzt kam dies 1974 vor, als in Tokio 6,3 Millionen Arbeiter für höhere Löhne streikten und den öffentlichen Verkehr so zum Erliegen brachten.
Viele Sprachschulen kämpfen derweil gleich um ihr Überleben. Denn eigentlich hätte nun auch für viele Austauschstudenten der Japan-Aufenthalt begonnen. Für die Mehrheit ist dies jedoch aufgrund der Einreisebeschränkung und Visa-Verschärfungen gar nicht mehr möglich. Eine Sprachschule in Tokio hat beispielsweise vermeldet, dass 90 Prozent ihrer registrierten Schüler gar nicht nach Japan einreisen konnten.
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