Ein frühes Ende für das Tokioter Nachtleben
Zwischen 23:30 Uhr und 1:00 Uhr fahren die letzten Züge von JR East von den Zentren Tokio in die Vororte. Für die trinkenden Massen in den Restaurants und Bars ist es die finale Gelegenheit, günstig nach Hause zu kommen. Danach wird das geschäftige Bahnnetz in den Ruhemodus versetzt. Bis um 5 Uhr morgens verkehren weder Zug noch Bus. Auch bei der U-Bahn verhält es sich nicht anders. Selbst am Wochenende, wenn Millionen von Menschen ausgehen, wird keine Ausnahme gemacht. Denn die Nachtstunden sind essenziell für den aufwendigen Unterhalt und die Inspektion der Infrastruktur.
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Mit dem kommenden Fahrplanwechsel im März 2021 wird das Nachtleben in Tokio noch früher enden. JR East plant gleich auf 17 Strecken die letzten Abfahrtszeiten von den Zentren um bis zu 37 Minuten vorzuverlegen. So wird beispielsweise der letzte Zug der JR-Ome-Linie nicht mehr um 23:36 Uhr, sondern um 22:59 abfahren. Bei der JR-Takasaki-Linie wird es 22:30 Uhr anstatt 23:07 Uhr sein. Aber auch die beliebte Ringlinie JR-Yamanote ist von dieser Massnahme betroffen. Um 15 bis 20 Minuten werden auf dieser Strecke die letzten Abfahrtszeiten vorverlegt. Zum ersten Mal seit der Privatisierung 1987 tätigt JR East eine derart umfassende Änderung des Fahrplans.
Die zwei Gründe
Für diesen historischen Schritt gibt es nachvollziehbare Gründe. Die nächtlichen Passagierzahlen sind seit der Corona-Krise stark rückläufig, auf der Yamanote-Linie um bis zu 66 Prozent. Viele verzichten auf das Feierabendessen mit den Kollegen. Die Zunahme des Homeoffice spielt ebenso eine Rolle. Gemäss JR East wären aktuell noch 20’000 Passagiere direkt betroffen von dieser Massnahme.
Mit dieser Anpassung schafft der Bahnbetreiber mehr Zeit für den nächtlichen Unterhalt. Die Arbeiten können schneller abgeschlossen und Kosten gespart werden. Das ist nicht unwichtig für ein Unternehmen, das in diesem Geschäftsjahr mit einem Verlust in der Höhe von 418 Milliarden Yen rechnet (Asienspiegel berichtete). Für die Nachtarbeiter will das Unternehmen zudem ein besseres Arbeitsumfeld schaffen. Denn bis zu 20 Prozent dieser Fachkräfte werden in 10 Jahren im Pensionsalter sein. Wegen der Überalterung der Gesellschaft wird JR East nicht alle ersetzen können. JR East ist übrigens nicht allein. Auch JR West in Osaka wird aus denselben Gründen die letzten Fahrzeiten vorverlegen.
Eigentlich hatte man andere Pläne
Dabei hatte man noch bis vor kurzem ganz andere Pläne. In den vergangenen Jahren wollte die Regierung im Zuge des Tourismusbooms das Nachtleben in den Metropolen attraktiver gestalten (Asienspiegel berichtete). Hierzu zirkulierte wiederholt die Idee, die Abfahrtszeiten der letzten Züge – zumindest freitags und samstags – in die frühen Morgenstunden zu verlegen (Asienspiegel berichtete). In Osaka liess man an zwei Freitagen im Februar 2020 die Midōsuji-Metro-Linie versuchsweise bis um 3 Uhr verkehren. Derweil beschloss man in Tokio, für die Zeit der Olympischen Spiele die JR-Yamanote-Ringlinie bis um 2:30 Uhr in Betrieb zu lassen (Asienspiegel berichtete). Die Corona-Krise hat zu einer abrupten Umkehr dieser Entwicklung geführt. Für die Restaurants und Bars sind dies keine guten Nachrichten.
Übrigens wurden die Fahrzeiten der Regionalzüge erstmals im Rahmen der Olympischen Spiele 1964 nach hinten verlegt. Es war zugleich eine Anpassung an die neuen Bedürfnisse einer boomenden Wirtschaft. Seit diesen Tagen verkehren die letzten Züge bis kurz nach Mitternacht. Zuvor war es üblich, dass die Bahn bereits um 21:00 Uhr und auf gewissen Linien sogar noch früher den Tag beendete.
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